Kultur

TAG: Schuldenfrei im Mythen-Steinbruch

120 Produktionen in zehn Jahren – zusammengefasst an einem Abend: Dieses aberwitzige Unterfangen hat sich das TAG vorgenommen, um heute sein zehnjähriges Bestehen würdig zu feiern.

Und natürlich greift man dabei zu einem Trick: Lieder und Musikstücke aus diesen Jahren werden zu einer Revue verdichtet. Der künstlerische Leiter Gernot Plass wird die Gitarre bedienen, das Ensemble tritt als Chor auf. "Wir merken gerade, dass wir ziemlich gut singen können", sagt Plass lächelnd.

Das TAG – Theater an der Gumpendorfer Straße – trat vor zehn Jahren ein schweres Erbe an. Die legendäre "Gruppe 80" unter Helga Illich und Helmut Wiesner hatte nach 23 Jahren das ehemalige Kino in Wien-Mariahilf an ihre Nachfolger übergeben, eine Theaterkooperative, bestehend aus drei unterschiedlichen Gruppen und sieben (!) Direktoren.

Plass erinnert sich: "Wir wollten anders sein als die Gruppe 80. Aber wir haben unterschätzt, wie leer ein Theater sein kann, wenn das Stammpublikum mit den Füßen abstimmt. Es war schwierig, eine Linie zu finden. Wir haben das Budget einfach gedrittelt, und jeder hat gemacht, was er wollte."

Selbstfindung

Es folgte das, was Ferdinand Urbach, im Führungsduo für das Kaufmännische zuständig, "gesunde Entwicklung" nennt: Man kam drauf, dass das Haus nur durch eine klare Positionierung eine Chance hat. Schließlich fand sich mit Margit Mezgolich eine Führungsperson, die aus dem Kollektiv ein richtiges Theater machte. 2013 übergab sie die Leitung an Plass und Urbach. Im März kehrt sie als Regisseurin zurück und inszeniert eine Dramatisierung von Canettis "Blendung".

Auf Mezgolich geht auch das heutige Erfolgsrezept zurück: Klassiker-Überschreibungen. Es begann mit einer Bühnenfassung des Kurosawa-Films "Rashomon", dann kam Plass auf die Idee, "Richard II." neu zu schreiben. Einen "Selbstfindungsprozess" nennt Plass das. "So entstand das Konzept, mythische Steinbrüche neu zu bearbeiten. Und das Prinzip, dass der, der den Text schreibt, selbst inszeniert."

Die Vielfalt des Hauses entsteht durch so unterschiedliche Theatermacher wie Plass, Ed Hauswirth oder Christian Suchy. Die Stoffe reichen von Shakespeare bis zu Bunuel. Daneben betreibt das TAG Theatersport-Formate, Improvisations-Abende, Tagebuch-Slam – und erreicht damit zusätzlich zum "klassischen bürgerlichen Wiener Theaterbesucher" ein junges Publikum.

Überleben?

770.000 Euro bekommt das Haus von der Stadt Wien, dazu kommt ein wenig Geld vom Bund, mit den eigenen Einnahmen erreicht man ein Jahresbudget von einer knappen Million Euro. Kann man damit überleben?

Urbach: "Ja, wenn man so lebt wie wir. Wir überleben, und wir überleben vor allem schuldenfrei." Nicht selbstverständlich ist auch, dass sich das Haus ein kleines, fix angestelltes Ensemble von fünf Personen leistet, anstatt die in der Off-Szene üblichen zeitlich knapp begrenzten "Kettenverträge" zu vergeben. Urbach: "Das TAG soll ein guter Ort sein, um Theater zu machen."

Doch die Tatsache, dass man vernünftig wirtschafte ("wir sind kein Ausstattungstheater"), heiße nicht, "dass wir nicht mehr bräuchten", erklärt Urbach. "Wir würden gerne prekäre Arbeitsverhältnisse besser absichern. Wir bräuchten zwei Ensemblestellen mehr."

Die Verträge von Urbach und Plass laufen mit der Saison 2016/’17 aus. Beide sagen offen, dass sie gerne noch eine Periode weitermachen würden. Der Erfolg spricht für sie – das Haus steht bei etwa 17.500 Besuchern pro Jahr und einer Auslastung von 84 Prozent und hat regelmäßig hymnische Kritiken.