Swingende Harmonie: Keith Jarrett beim Jazzfest
Es war der Erste von nur ein paar handverlesenen Auftritten in Europa. Und es hatte etwas Heimeliges, das Wiederhören nach 23 Jahren mit Keith Jarrett just in der legendären Trio-Besetzung mit Gary Peacock (Bass) und Jack DeJohnette (Drums) Sonntag im Konzerthaus.
Schon die hohen Ticket-Preise kündeten von einem Ereignis außerhalb aller Kategorien. Filmen, Fotografieren, Husten, jede Art von Geräusch sind verboten. Bei der für ihre Allüren bekannten Pianisten-Diva kann das zum Abbruch des Konzertes führen.
Eine Schrecksekunde um 20.32 Uhr: Ein Handy klingelt im Parkett. Aber der Fauxpas trübt nicht die gute Laune der Herren. Ob "Stella By Starlight" als Intro oder "Autumn Leaves", "I’ve Got A Crush On You" oder "Once Upon A Time": Das Trio schlendert unbeschwert durch das Inventar des Great American Songbook und füllt die alten Melodien mit zeitloser Frische.
Wie in Trance
Jarretts lyrisches Tastenspiel, das immer verblüffende Wendungen hervorbringt, die fabelhafte Interaktion mit Peacock und DeJohnette: Neu ist das alles nicht, weil vielfach auf CDs wie "The Out-of-Towners" (2004), "Live in Japan 93/96" (2008) und "Yesterdays" (2009) dokumentiert, aber live immer wieder spannend.
Der Hohepriester der improvisierten Musik offenbart die Quintessenz an Melodien mit einer Eleganz, wie man sie nur selten zu hören bekommt. Und natürlich geht bei ihm das Ringen um Ausdruck nicht ohne selbstvergessenes Keuchen und Stöhnen zum delikat akzentuierten Pianospiel ab.
Der schmächtige Mann mit dem silbergrauen Haar, weltberühmt durch "The Köln Concert" (1975), macht Musik. Basta. Und die Musik ist im Wesentlichen auch nur seinen eigenen Regeln unterworfen. Ob sie für Jazz gehalten wird, war ihm immer schon egal. Sein Ideal sind "Klänge, die keine Unterstützung brauchen. Auch nicht durch den Spieler."
Jarrett lässt am liebsten "Musik entstehen, ohne viele Fragen zu stellen. Sie könnte sonst entschwinden." So wie er selbst gern leise spricht, als hasse er das Übermaß, das Vorlaute, so skelettiert er das Material.
Singender Sound
Er arbeitet die melodie- und rhythmusbildenden Elemente heraus, die dieser Musik ein Rückgrat einziehen, schreitet – unter Verzicht auf gefühlsseliges Schwadronieren – von einem Motiv zum nächsten, beharrt aber auf Klängen, wenn sie Stimmung schaffen. Evergreens haben bei ihm eine magische Qualität und Spannung, die nicht in purer Virtuosität verpufft.
Das Panoptikum der anspruchsvollen Leichtigkeit endet vor den Zugaben – nein: klingt schön aus – mit dem Standard "God Bless The Child". Wie eine akustische Liebeserklärung. Zum Steinway-Erweichen.
Da sitzt man nur noch da, still und friedlich und freut sich darüber, eine Sternstunde erlebt zu haben.
Fazit: Perlen swingender Harmonien
Geschichte Seit Anfang der 80er-Jahre nimmt sich KeithJarrett mit Gary Peacock und Jack DeJohnette im Trio der Neudeutung von Broadway- und Tin-Pan-Alley-Klassikern an.
Repertoire "I Thought About You", "I’m A Fool To Love You", "God Bless The Child" ... Für fast jeden Modern- Mainstream-Geschmack findet sich eine akustische Preziose.
Live Jarrett verzichtet darauf, mit leichter Hand zu punkten und findet so immer wieder zu kleinen Nachdenklichkeiten. Und das ist so schön, dass es manchmal fast schon weh tut.
KURIER-Wertung: ***** von *****