Kultur

Surfen, Sonne und Depressionen

Es gibt da diesen herrlichen Comedy-Sketch von 1976, in dem John Belushi und Dan Aykroyd – beide als Polizisten verkleidet – Brian Wilson von den "Beach Boys" in seinem Haus verhaften. Sein Verbrechen: Er hat es verabsäumt zu surfen. Seine Strafe: Er muss sofort surfen gehen.

"Kommt nicht in Frage", protestiert Wilson im Schlafrock, "davon werden meine Haare nass."

Doch Aykroyd und Belushi schnappen sich den "Beach Boy" und marschieren mit ihm an den Strand von Malibu. Dort rollen die Riesenwellen, Wilson klatscht aufs Surfbrett und ist binnen Sekunden waschelnass. Dazu ertönt der Sound einer der größten " Beach Boys"-Klassiker, "Surfin’ USA".

Es gehört zu den Treppenwitzen der Musikgeschichte, dass die "Beach Boys" mit ihren Surfhymnen wie "Surfin’ Safari" und "Surfer Girl" als der Inbegriff des Surf-Sounds galten und dabei selbst – bis auf Dennis Wilson – keine Surfer waren. Schon gar nicht Brian Wilson, der sich vor Wasser angeblich zu Tode fürchtete. Wilson war es auch, der in den 70er Jahren schwere Abstürze und Nervenzusammenbrüche erlebte und zwei Jahre lang kaum sein Bett verließ.

Doch die komplexen, vordergründig heiteren, hintergründig traurigen "Beach Boys"-Melodien, gepaart mit dem Gesang der hohen Falsett-Stimme, prägten den Sound der Sixties und lieferten das Lebensgefühl einer ganzen Ära. Zu ihren größten Fans zählten Ronald Reagan ebenso wie Ralf Hütter von "Kraftwerk".

Was hinter all dem "Fun, Fun, Fun" der "Beach Boys" steckte, und vor allem im Kopf von Brian Wilson, ihrem Mastermind, vorging, erzählt nun der neue, vortreffliche Film von Bill Pohlad "Love & Mercy" (ab Freitag im Kino).

Pohlad, der sich als Produzent von "Brokeback Mountain" einen Namen machte und sich im KURIER-Interview eher als "Beatles-Typ", denn als großer "Beach Boys"-Fan bezeichnet, kippte vor rund zehn Jahren in die Musik von "Pet Sounds", dem legendären Album von 1966 . Nicht umsonst erzählt der beste Teil von "Love & Mercy" detailgenau von dessen Recording-Sessions.

Wer spielt mich?

Die erste Frage, die der heute fast 73-jährige Brian Wilson an Pohlad stellte, als dieser ihm von seinem Filmprojekt erzählte, lautete klarerweise: "Wer spielt mich?"

Die Antwort war zweigleisig: Den jungen Brian Wilson der 60er übernahm der überragende Paul Dano, fraß sich einige Pfunde auf den Leib und sah danach aus wie Wilsons jugendlicher Wiedergänger. Den älteren, von Depressionen und Medikamenten gebeutelten Wilson der 80er, der von seinem manipulativen Therapeuten terrorisiert wird, intoniert der ebenfalls ausgezeichnetete John Cusack; allerdings ist er bei weitem weniger Look-alike.

Inspiriert von dem Bob-Dylan-Bio-Pic "I’m Not There", in dem unterschiedliche Schauspieler Dylan darstellen, wollte auch Pohlad ganz verschieden Facetten seiner Figur ausleuchten: "Ich habe Paul Dano und John Cusack jeden Kontakt vor den Dreharbeiten untersagt, weil ich nicht wollte, dass sie sich absprechen", sagt Pohlad: "Sie sollten jeder ihren eigenen ,Brian Wilson’ finden ."

God Only Knows

Für Paul Dano führte die Suche nach Brian Wilson ins intensive Musikstudium: "Ich habe viel Klavier gespielt und seine Songs gesungen – und ich glaube, das hat mich in nahen Kontakt mit ihm gebracht", erzählt Dano. Tatsächlich erreichte sein Gesang eine derartige Perfektion, dass er im Film zwei Nummern ("God Only Knows" und "Surf’s Up") selbst singen darf – mit der Absegnung von Brian Wilson, versteht sich, den er persönlich kennen lernte.

Überhaupt wurden sowohl Brian Wilson, wie auch seine Frau Melissa – die Liebesgeschichte der beiden ist das Herzstück des Teils, der in den 80er Jahren spielt – stark in das Filmprojekt eingebunden, machten Set-Besuche und gaben manchmal auch Ratschläge – "aber eingemischt haben sie sich nie", beteuert der Regisseur.

Pohlad hatte den Stil von Musik-Dokus aus den 60er Jahren wie "Let It Be" im Hinterkopf, als er die Szenen drehte, in dem "Pet Sounds" im Originalstudio aufgenommen wird. Und ja, "die 32 Wiederholungen einer Cello-Einspielung für ,Good Vibrations ’ sind realistisch."

Verblüffend aus heutiger Sicht auch, mit welchen Widerständen Brian Wilson ununterbrochen zu kämpfen hatte. Vor allem sein Cousin und Bandmitglied Mike Love bezichtigte ihn des Verrats am Sound der "Beach Boys". Dabei war es gerade Brian Wilson und ein Album wie "Pet Sounds", das aus einer guten Band eine legendäre machte.

Sonne, Sand, Surfen und "Good Vibrations" – davon sangen die "Beach Boys", die wie kaum eine Band den Sound der 60er-Jahre prägten. Das musikalische Herz der Band bildete Brian Wilson, der Mitte der 60er das legendäre Album "Pet Sound" vorlegte.

Wenn Paul Dano am Klavier in der Sandkiste sitzt und "God Only Knows" anstimmt, glaubt man tatsächlich, Wilson vor sich zu sehen. Dano verkörpert den jungen, in Psychose fallenden "Beach Boy" mit sensationeller Übereinstimmung und großer, musikalischer Einfühlung. John Cusack übernimmt die Wilson-Rolle für dessen Lebensphase in den 80er-Jahren: Zu diesem Zeitpunkt ist er schwer von Medikamenten abhängig und unter dem Einfluss eines manipulativen Therapeuten namens Doktor Landy. Auch Cusacks Spiel ist fein ziseliert und von höchster Konzentration – auch wenn dieser Teil der Geschichte weniger überzeugend gebaut ist.

Insgesamt aber gelingt Regisseur Bill Pohlad mit seinem eklektischen Bio-Pic ein Meisterstück – und gerade die im Originalstudio eingespielten Musikaufnahmen sind fantastisch.

INFO: USA 2015. 121 Min. Von Bill Pohlad. Mit Paul Dano, John Cusack, Elizabeth Banks.

KURIER-Wertung:

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