"Steppenrot": Der Sonnenkönig ist runtergefallen
Von Marco Weise
Die beiden moderierenden und musizierenden FM4-Blödler Hannes Duscher und Roland Gratzer stehen nun auch gemeinsam auf der Theaterbühne. Im Stück "Steppenrot" feiern sie am 24.12.1975 gemeinsam Weihnachten. Aber es ist kein normaler Heiliger Abend, denn davor passieren Dinge, die sichtbar machen, wie schmal der Grat zwischen Idealismus und Terrorismus sein kann.
Aber erst einmal alles von Anfang an.
Weihnachtswunder
Was hat Winnetou, der Apachen-Häuptling mit Bruno Kreisky und dem Diktator Josip Tito zu tun? Am ersten Blick einmal gar nichts. Trotzdem hängen die drei – ähm – „Ikonen“ nebeneinander über einem Wirtshaustisch. Aufgehängt hat sie der früh pensionierte ÖBB-Bahnhofswärter Josef Grassl (Roland Gratzer), ein etwas schwerfälliger, gutmütiger und ziemlich einsamer Kommunist – Pardon! – Realsozialist. Von seiner Frau verlassen, führt er seit geraumer Zeit ein beschauliches Leben in einer traurigen Gegend - in der Oststeiermark. Da es das oft heraufbeschworene „Weihnachtswunder“ auch in der Steiermark gibt, wird das Leben von Josef Grassl noch eonmal ordentlich umgekrempelt: Seine seit Jahren vermissteTochter, sein Ein und Alles, kehrt zurück. Aber nicht alleine. Im Schlepptau hat sie ihren herrlich dummen Lover Johnny Gansterer (Hannes Duscher) und eine arbeitsmüde wie abgeklärte KGB-Agentin (Conny Lee), die im russischen Dialekt über ihren Scheißjob jammert.
Die drei sind allesamt RAF-Terroristen und nach der blutigen OPEC-Geiselnahme in Wien auf der Flucht. Josef Grassl will davon aber lange Zeit nichts wissen. Er betreibt Realitätsflucht. Außerdem will er endlich mit dem FPÖ-Politiker (Harald Homolka-List) einen Western-Vergnügungspark am Bahnhofsgelände errichten: Operation "Steppenrot". Komplettiert wird der ohnehin schon von schrägen Persönlichkeiten strotzende Theaterabend von einem depressiven Mossad-Agent (Johannes Grenzfurthner), der ins obersteirische Kaff strafversetzt wurde, um dort ehemalige Nazis auszuforschen. Auf der Bühne ergibt sich dadurch ein unterhaltsames Spiel, das mit Witz die Entwicklung der Sozialdemokratie und die politische Landschaft kritisch und clever hinterfragt. Die Laienschauspieler stürzen sich dabei mit viel Leidenschaft und Engagement von Szene zu Szene. Dass bei der Premiere am Freitagabend im Spektakel nicht alles aufging, war nicht weiter schlimm.
Für den größten Lacher des Abends sorgte der Zufall: Das Klebeband wollte das Bild von Bruno Kreisky nicht mehr an der Wand halten. Immer wieder fiel der Sonnenkönig zu Boden. Roland Gratzer als Josef Grassl reagierte darauf stets mit toller Situationskomik. Applaus.
"Steppenrot" ist ein gelungenes Potpourri aus Löwinger-Bühne, Musical, Familiendrama und politischem Theater.
INFO: "Steppenrot". Mit Roland Gratzer, Hannes Duscher, Johannes Grenzfurthner, Elisabeth Semrad, Conny Lee, Harald Homolka-List, Sebastian Wilhelm (Buch), Sarah Strauss (Kostüm), Günther Friesinger (Produktion). Musik: Roland Gratzer, Hannes Duscher.
TERMINE: 3./10./16. und 21. Dezember im Theater Spektakel, Hamburgerstraße 14, 1050. Eintrittskarte: EUR 20 (Vorverkauf EUR 18), StudentInnen EUR 15 (Vorverkauf EUR 13).