Star-Produzent Harold Faltermeyer: "Jeder Hit ist Fluch und Segen zugleich"
Von Barbara Reiter
Herr Faltermeyer, unlängst wurde ich gefragt, wer mein nächster Interviewpartner ist. Als ich Ihren Namen nannte, wusste derjenige zunächst nicht, wohin damit.
Ach, das stört mich nicht. Es ist ja auch so, dass mein Gesicht nicht superprominent ist. Thomas Gottschalk konnte zu seinen Hoch-Zeiten nicht mal in Ruhe mittagessen, ohne von Fans belästigt zu werden. Das passiert mir nicht, was ich als sehr angenehm empfinde.
Wie erklären Sie jemandem kurz und knapp, was Sie machen?
Das ist sehr einfach. Ich habe eine musikalische Visitenkarte. Wenn ich die Melodie von Axel F summe: „Dum dum dumda dum dum dum“, sagt nachher jeder: „Ja, genau!“
Axel F war 1985 ein weltweiter Hit und Teil des von Ihnen komponierten Soundtracks zum Film „Beverly Hills Cop“. Das hat Ihnen den Grammy eingebracht, aber auch, wie sie einmal meinten, Nachteile.
Naja, jeder Hit ist Fluch und Segen zugleich. Er bringt Anerkennung, ist aber auch die Messlatte für Folgeprojekte. Bei „Beverly Hills Cop“ hat die Musik wesentlich dazu beigetragen, den Film noch mal nach oben zu pushen. Von da an hat sich das jeder von mir erwartet. Ich habe auch nur noch eine bestimmte Kategorie von Filmen angeboten bekommen.
Sie meinen Cop-Filme?
Ja, es ist wie ein Fluch, der auf mir lastet. Aber wenn man in eine Autowerkstatt geht, gibt es auch keinen Automechaniker mehr, sondern nur noch Mechatroniker. Einer ist auf Reifen spezialisiert, der andere auf Bremsen. Spezialisierung ist ein Dogma unserer Zeit. Das lässt sich nicht ändern.
Sie haben doch ein Jahr später für „Top Gun“ wieder einen Grammy eingeheimst – und das war kein Cop-Film.
Stimmt, es war eine andere Richtung, aber wieder Action. Ich erinnere mich oft daran, dass ich die Filmmusik zu „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ komponieren wollte ...
Jessica Rabbit war ein toller Hase ...
Ich fand eher die Technik genial. Ein Teil Realwelt, ein Teil Zeichentrick – ein absolutes Novum zur damaligen Zeit. Ich wollte mich unbedingt bewerben, aber meine Agenten meinten: „Harold, das brauchst du gar nicht zu versuchen. Du stehst für ein anderes Genre.“ Ich hätte den Film auch umsonst gemacht, weil ich aus der Action-Schublade rauswollte. Nichts zu machen. Erst fünf Jahre später wurde mir in Deutschland mit „Asterix in Amerika“ ein Zeichentrickfilm angeboten.
Nicht schlecht, aber warum haben Sie nach dem Erfolg mit „Top Gun“ nicht einfach mit Produzent Jerry Bruckheimer weitergemacht? Er hat einen Blockbuster nach dem anderen produziert. Armageddon, die „Fluch der Karibik“-Reihe ...
Weil ich damals Amerika den Rücken gekehrt habe. Damit ist man erst mal „out of the loop“. Man muss vor Ort sein, um Erfolg zu haben – Vernissagen, Partys und Premieren besuchen. Dann kannst du jemandem zuwinken, der dann sagt: „Look, who’s here!“ So funktioniert das. Wer nicht da ist, ist out.
Erfolgs-Produzent Faltermeyer, unverkennbar ein echter Bayer, im Gespräch mit Barbara Reiter
Sie wollten nicht, dass Ihre Kinder in den USA aufwachsen. Ist es so schlimm dort?
Ich wollte, dass sie dieselbe Erdung erfahren, die ich aus meiner Kindheit in Bayern kannte. Heute kommen sie in der Weltgeschichte herum und haben kein Problem, sich in einer großen Stadt zurechtzufinden. Das geht meiner Meinung nach nur, wenn man weiß, wo man hingehört. Ich habe drei wunderbare Kinder. Insofern hat sich meine Entscheidung zu 100 Prozent ausgezahlt.
Wenn Harold Faltermeyer nicht gerade Musik macht, malt er. Seine "Neon-Hirsche-Serie" ist in der Salzburger Galerie Walentowski zu sehen
Sie selbst waren viele Jahre in den USA. Hat Ihnen als Bayer der Kontakt zu Erfolgsproduzent Giorgio Moroder, der aus Südtirol in die USA ausgewandert ist, geholfen, mit der Oberflächlichkeit der Amerikaner zurechtzukommen?
Der Giorgio hat sicher eine gewisse Erdung, weil er aus einem Alpendorf stammt. Aber ich glaube zu wissen, dass seine Sehnsucht nach dieser Welt viel größer war als meine und er sie auf Gedeih und Verderb leben wollte. Ich weiß noch, als er mit einem Trio beim Fünf-Uhr-Tee in großen Ski-Hotels aufgetreten ist. Seine Motivation war, einmal dort zu sitzen, wo die Reichen sitzen. Dafür hat er alles getan, verbunden mit dem absoluten Genie, das er nun mal war, ist ihm das auch gelungen.
Moroder hat in den 1980er-Jahren in München die Discomusik erfunden. Er hat Sie damals engagiert. Würden Sie ihn als Schlüsselmenschen bezeichnen?
Giorgio war mein Mentor, ganz klar. Es ist unbestritten, dass er mich ins Geschäft reingebracht hat. Aber natürlich muss man bestehen und selber seinen Stiefel machen.
Eine Verbindung fürs Leben?
Nicht ganz. Aber einmal im Jahr rufen wir uns zusammen und gehen abendessen. Dann erzählt jeder, was er gerade macht. Giorgio ist jetzt als DJ sehr erfolgreich. Er hat mir vorgeschlagen, auch einzusteigen, aber ich habe ihm gesagt: „Giorgio, ich kann nicht rumtanzen und die Hand heben.“ Ich war noch nie in der Disco zuhause. Aber für ihn ist das eine Riesengaudi. Er verdient gutes Geld, was ja in Ordnung ist. Was soll er denn sonst tun?
Naja, er ist 76 und könnte in Südtirol auf den Berg gehen. Ist ein ruhigeres Leben für einen Künstler wirklich so undenkbar?
Ich wüsste gar nicht, wie das gehen soll. In meinem Fall könnte es nur passieren, dass mir einmal die Melodien ausgehen. Aber mir schwirren andauernd Ideen im Kopf und ich könnte nicht damit leben, sie nicht rauszulassen. Ungeachtet dessen, ob das jemand hören will oder nicht.
Theoretisch gesprochen hätten Sie nach Ihrem Welthit Axel F aber in Pension gehen können.
Axel F ist fast so was wie eine Rente. Es wird seit Jahrzehnten immer wieder verwendet. Da fließen natürlich die Tantiemen. Aber ich sag mal so: Ich weiß, dass ein solcher Strom auch versiegen kann. Wir haben heute das Problem der Streamings. Das ist das Einzige, was überleben wird. Es gibt zwar mit Vinyl ein Phänomen, das wieder auf die Beine kommt, aber das ist ein Nischenprodukt.
Der Komponist gewann zwei Grammys - mit der Filmmusik für "Beverly Hills Cop" und "Top Gun"
Sie sind seit 45 Jahren im Musikgeschäft. Sieht man solche Entwicklungen voraus?
Es gibt ein hochinteressantes Interview von mir, das, glaube ich, in der Süddeutschen Zeitung erschienen ist. Die haben mich 1980 gefragt, wie die Musikwelt in 30 Jahren aussehen wird. So wahr ich heute hier sitze, habe ich gesagt: „Die Musik wird nur noch auf digitalen Tonträgern zur Verfügung stehen.“ Es ist genau so gekommen.
Haben Sie eine Glaskugel daheim?
Ich war damals Visionär genug, um zu wissen, dass Medien wie Vinyl oder die CD in Zukunft nicht mehr existieren werden, alleine schon aufgrund der Rohstoffproblematik. Ergo würde man alles digitalisieren. Man sieht es an Rechnungen. Wenn der Steuerberater eine fürs Finanzamt braucht, druckt man sie notgedrungen aus. Bald werden wir nichts mehr drucken. Vielleicht ist das auch richtig so. Wir verschwenden irrsinnig viele Ressourcen. Auch wenn jeder nur einen Zettel ausdruckt, werden daraus Millionen, wenn das jeder tut. Auch in der Musik geht man andere Wege. Für neun Euro im Monat kann man bei Spotify jede Musik hören – wie im Schlaraffenland.
Ein Segen. Wo ist hier der Fluch?
Die Originalität bleibt auf der Stecke. Wir mussten damals noch jeden einzelnen Sound basteln. Für gute Sounds hat man oft einen halben Tag gebraucht. Man hat einen Klang gehabt und ihn auf Band aufgenommen. Dann hat man dieses ganze Ding wieder zerrissen und einen neuen Sound kreiert. Heute gibt es Systeme wie „Logic“. Für 200 Euro haben Sie jeden erdenklichen Sound auf Knopfdruck. Eine Vielzahl junger Musiker kann sich das leisten und arbeitet damit. Das führt zu einer Uniformierung der Musik.
Wissen Sie, wer derzeit in den Top Ten der Hitparade ist?
Ich kann nicht mal mehr ein Lied nachsingen, weil Melodien aus der Mode gekommen sind. Aber sie sind das Salz in der Suppe. Wenn ich einer Komposition die Melodie entziehe, bleibt nur noch eine verwässerte Struktur, irgendein Rhythmus, zu dem ich notfalls abshaken kann. Popmusik ist momentan langweilig. Es ist ein Wahnsinn, wie fleißig eine Rihanna ist. Die schmeißt alle paar Wochen eine Single auf den Markt. Aber wo bleiben die Evergreens von morgen, wenn wir sie nicht heute schreiben?
Und der Klang über ein Smartphone? Schmerzen Ihnen als Komponist da die Ohren?
Mehr als MP3-Qualität haben wir auf Smartphones nicht. Das ist toll für schnellen Datentransfer, der wenig Speicherplatz braucht und trotzdem annehmbar klingt. Aber ganz ehrlich: Der Klang ist trotzdem ein Riesenverhau! Dazu kommt, dass die Kinder durch die Kopfhörer alle halbtaub sind. Wir machen uns Gedanken, dass wir dem Konsumenten ein wunderbares Klangbild liefern und dann wird das derart zusammengestöpselt. Grauenhaft!
Was empfehlen Sie?
Ich würde nostalgisch zur Vinylplatte greifen. Das hat auch einen haptischen Wert, weil man sich seinen Star noch anschauen kann. Früher hat man die Vinyltasche mit dem Konterfei des Sängers ja praktisch geküsst. Als die CD kam, ist der Wert auf ein Zehntel geschrumpft. Dienste wie Spotify sind ohnehin eine hochanonyme Angelegenheit. Stars sind nur noch Daten.
Als Sie für Hollywood gearbeitet haben, war das noch anders. In Ihrer Biografie „Grüß Gott, Hollywood“, schreiben Sie über eine Begegnung mit Kelly McGillis, der schönen Partnerin von Tom Cruise in „Top-Gun“ ...
Was für ein fesches Mädl das war. Ich habe aber gehört, sie ist nimma so fesch, gell?
Naja, nicht so.
Sie hatte mit der Schauspielerei seit ewigen Zeiten ein Problem. Schon bei „Top Gun“ hat sie gesagt: „Ich weiß nicht, ob ich das alles brauche. Ich lebe lieber am Land auf dem Bauernhof.“ Das war ihre Kernaussage. Es wundert mich nicht, dass sie sich äußerlich verändert hat.
Und Meg Ryan? Sie hatte in „Top Gun“ eine Mini-Mini-Rolle.
Sie war damals noch kein Star und spielte die Frau eines abgestürzten Piloten. Jerry Bruckheimer sagte damals bei einem Mittagessen zu mir: „Das ist Meg Ryan. Die wird mal ein ganz großer Star.“ Und ich fand damals, dass sie zwar ein hübsches amerikanisches Mädl ist, aber nichts Besonderes hat – weder Gesicht, noch Aura. Aber Jerry Bruckheimer hat etwas gesehen, was ich nicht gesehen habe.
Ein Leben zwichen zwei Buchdeckeln: Seine Karriere in Hollywood hat der Produzent erst kürzlich zu Papier gebracht.
Haben Sie 2006 Ihren Zusammenbruch vorausgesehen, den Sie im Buch auch thematisieren?
Ich hätte mir nie gedacht, das mir so etwas passieren kann. Ich bin damals aus Wien nach Amerika zurückgekehrt und habe wie ein Irrer begonnen, an den ersten Aufträgen zu arbeiten. Es war sechs Uhr früh und ich habe eine viel zu starke Tasse Kaffee getrunken. Plötzlich habe ich angefangen, zu zittern und – bumm – bin ich dagelegen – wie ein gefällter Baum!
Hatte Ihr Privatleben etwas damit zu tun? Sie waren zu dem Zeitpunkt längst von der Mutter Ihrer Kinder getrennt, aber noch mit ihr verheiratet. Im Buch schreiben Sie, daran wäre Ihre damalige Beziehung zur Wiener Promi-Friseurin Barbara Reichard gescheitert.
Sagen wir so: Es hatte auch damit zu tun. Ich hatte die Prämisse, niemandem weh zu tun, was sicher stark an meinem Sternzeichen Waage liegt. Dabei habe ich durch mein Handeln erst recht allen weh getan. Anstatt einmal mit der ganzen Wahrheit rauszurücken, habe ich ein Lügengebäude konstruiert, das nicht mehr zu durchschauen war. Ich habe einmal mit einem Psychologen darüber geredet. Ich wollte wissen, was da passiert ist. Er hat das mit einem Computer verglichen, der zu viele Programme offen hat. Irgendwann stürzt er ab.
Haben Sie noch Kontakt zu Rainhard Fendrich, mit dem Sie in Ihrer Wien-Zeit das Musical „Wake Up“ gemacht haben?
Mein brüderlicher Freund, hat es in Österreich oft geheißen. Er hat das Zeug zu einem Dürrenmatt, er ist ein Literat, ein Schreiber und großartiger Musiker. Er ist auch durch vieles durch. Menschlich war die ganze Drogenbeichte mit allem Drum und Dran sicher superproblematisch. Aber er ist wieder auferstanden. Zuletzt gesehen habe ich ihn 2012 beim Begräbnis meines Vaters, was mich sehr geehrt hat. Plötzlich stand Rainhard Fendrich ganz unangemeldet da.
Ziemlich beste Freunde: Mit Reinhard Fendrich brachte Faltermeyer 2002 das Musical "Wake Up" auf die Bühne. Musical und Freundschaft waren kein großer Erfolg
Ihre vorzeitige Lebensbilanz?
Den Zusammenbruch hätte ich mir gerne erspart. Aber vielleicht habe ich diese Watsch’n links und rechts gebraucht. Es konnte nicht so weitergehen.
Was wurde eigentlich aus Ihren Grammys?
Die stehen in meinem Büro in München. Manchmal schau ich sie an und denk mir, man müsste sie wieder mal abstauben. Es sind halt diese Grammophon-Dinger. Aber es wäre schön, wenn noch einer dazukäme. Wer weiß? Ich bin ja noch jung.
Harold Faltermeyer, 64, wurde 1952 in München geboren und nach einem amerikanischen Soldaten, der seinem Vater im Krieg nach einem Verkehrsunfall behilflich war, Harold mit o getauft. Mit 13 gründete Harold seine erste Band, verließ mit 16 das Gymnasium und ließ sich als Tontechniker von der Deutschen Grammophon ausbilden. Nebenbei studierte er an der Musikhochschule München. Mit 26 holte ihn Giorgio Moroder nach Hollywood. Der Soundtrack zu „Beverly Hills Cop“ und die Hymne für „Top Gun“ brachten ihm zwei Grammys ein. Heute lebt Faltermeyer in seiner bayerischen Heimat und hat begonnen, zu malen.
Seine „Neonhirschen“-Gemälde, wie am Foto vorne zu sehen, zeigt er in der Salzburger Gallerie Walentowski.
Das Buch: „Grüß Gott, Hollywood“ ist bei Lübbe erschienen. 24 Euro.
Die Bilder: Preis auf Anfrage. www.walentowski-galerien.de