Kultur

Standing Ovations für Claude Lanzmann

Claude Lanzmann erhielt in Cannes gleich zwei Mal Standing Ovations: Schon als ihn Festival-Chef Thierry Frémaux bei der Gala-Premiere begrüßte, wo Lanzmanns neue Doku „Der Letzte der Ungerechten“ gezeigt wurde. Noch ohne den Film gesehen zu haben, jubelte ihm das Publikum zu: Jenem 87-jährigen Mann, der mit seiner Zeitzeugen-Doku „Shoah“ 1986 einen Meilenstein in der Aufarbeitung des Holocaust gelegt hatte.

Lanzmann selbst war nicht um Worte verlegen. Leutselig berichtete er von seiner Debatte mit Frémaux, der die Doku im Hauptwettbewerb hatte zeigen wollen. Doch davon wollte er nichts wissen: „Mein Film ist mit den anderen nicht vergleichbar.“

Womit er völlig recht behielt. „Der Letzte der Ungerechten“, übrigens eine österreichische Co-Produktion, steht als fast vierstündiges Dokument ganz für sich und wäre schwer mit Spielfilmen zu vergleichen gewesen.

Im Zentrum des Films stehen Lanzmanns Gespräche mit dem Wiener Rabbiner Benjamin Murmelstein (1905–1989), die 1975 in Rom geführt wurden und eigentlich Teil der „Shoah“-Doku hätten werden sollen. Murmelstein war umstritten. Als „Judenältester“ arbeitete er eng mit Eichmann zusammen und versuchte, möglichst vielen Juden die Ausreise zu ermöglichen. Später wurde ihm Kollaboration mit den Nazis vorgeworfen. Im Gespräch entpuppt sich Murmelstein als faszinierendes Gegenüber: Mit wienerisch-jiddischem Akzent („Schaun Sie ...“) beschreibt er wortgewandt sein Verhältnis zu Eichmann. Dieser habe klare Worte gefunden, was die Ausführung seiner Befehle betraf: „Sonst ... heißt es eben: Sterben.“

Abenteuerlust

Trotzdem nutzte Murmelstein niemals die Gelegenheit, Österreich zu verlassen. „Warum nicht?“ will Lanzmann wissen. „Ich hatte das Gefühl, ich hätte noch etwas zu erledigen“, antwortet dieser: „Vielleicht war auch etwas Abenteuerlust dabei.“ Lanzmann stößt sich an diesem Wort, doch seine Sympathien für Murmelstein sind immer spürbar.

Am Ende von „Der Letzte der Ungerechten“ tobte der Applaus und wollte kein Ende mehr nehmen. Man hatte das Gefühl, Zeuge eines wichtigen Moments geworden zu sein: mit Claude Lanzmann – vielleicht als einem der letzten Gerechten.