Kultur

Staatsoper: Vom Freudenhaus ins Totenhaus

Noch nie war es so spannend, von der Wiener Staatsoper auf die Kreuzung OpernringKärntner Straße zu starren; auf die sich in Bewegung setzenden Bim und Badner Bahn; auf Menschen, die über den Zebrastreifen gehen; auf die nicht sehr eleganten Nachkriegsbauten.
Die Banalität des Alltags, untermalt von den dramatischen Klängen von Leoš Janáček – damit beginnt die Erstaufführung der Oper "Aus einem Totenhaus" im Haus am Ring.

Peter Konwitschny, der Regisseur, der schon so viele Meisterinszenierungen entwickelt hat (an der Wiener Staatsoper ist es nach der französischen "Don Carlos"-Fassung leider erst seine zweite), lässt diese Straßenszene als Video auf einem Vorhang ablaufen, und man weiß sofort: Das Werk, das auf Dostojewski basiert, spielt diesmal nicht in einem sibirischen Gefangenenlager, sondern in Wien. Heute.

Langsam hebt sich der Vorhang und gibt den Blick frei auf ein Loft. Mit den großen Fenstern des Opernringhofes. Und mit einer Männergesellschaft. Alle Insassen dieser coolen Wohnung tragen Smoking. Sie erzählen von ihren Verbrechen – ähnlich wie im Original von Janáček. Sie trinken Champagner. Sie konsumieren Drogen. Und sie lassen Prostituierte kommen und tanzen. Das " Totenhaus", es ist diesmal ein Freudenhaus, dann eine Mördergrube.

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Gewaltorgie

Denn die Party, die auch im Zuschauerraum stattfindet, gerät außer Kontrolle. Frauen werden vergewaltigt, eine stirbt, die Männer hauen einander fast den Schädel ein – und am Ende wird Alexander Petrowitsch Gorjantschikow (Sorin Coliban) erschossen statt, wie bei Janáček, in die Freiheit entlassen. Diesem Milieu entkommt keiner lebend.

Man ist an filmische Schilderungen der russischen Mafia erinnert, etwa an den TV-Zehnteiler "Im Angesicht des Verbrechens". Und die auf den ersten Blick frauenfeindlich wirkende Geschichte stellt sich nach und nach als feministisch, Männer-kritisch heraus: Konwitschny schildert, wie banal so mancher Testosteron-Protz tickt. Wie sehr er bei nackten Frauen nicht mehr vom Hirn bestimmt wird. Und wie Gewalt entsteht.

Mit dem Originallibretto hat all das nichts zu tun. Und selbst die Texte zum Mitlesen sind nicht authentisch. Die Darstellung ist aber nicht minder intensiv.

Eigentlich stammt nur der Rahmen von Konwitschny – er hatte die Neudeutung für das Opernhaus Zürich entwickelt. Für Wien umgesetzt wurde die Regie von Alexander Edtbauer, weil Konwitschny selbst erkrankt war. Dieses fabelhafte Ergebnis ist daher umso verblüffender.

Dabei war die Messlatte hoch: Patrice Chéreau hatte das "Totenhaus" zuletzt im Theater an der Wien inszeniert – sehr klassisch und geradezu stilprägend. Konwitschnys zeitgemäßer Zugang ist ebenso packend. Die beiden völlig konträren Sichtweisen beweisen wieder einmal: Es kommt immer nur auf die Qualität an.

Radikal

Die ist diesfalls auch musikalisch sehr hoch: Franz Welser-Möst setzt am Pult des grandiosen Staatsopernorchesters auf Janáčeks Original, ohne Milderungen und instrumentatorische Verfälschungen. Seine Lesart ist hart, radikal, sein Dirigat dynamisch, energiegeladen, fast fiebrig – und das Ergebnis vielleicht eine Spur zu laut, zu wenig differenziert.

Die Besetzung mit einer einzigen Dame (Donna Ellen) in der lustig-brutalen Männerrunde ist famos und homogen. Aber auch innerhalb des Guten gibt es Herausragendes: Wie Misha

Didyk den Luka Kusmitsch gestaltet, Herbert Lippert den Skuratow und Staatsopern-Debütant Christopher Maltman den Schischkow, jeweils kraftvoll, intensiv, ausdrucksstark, verdient das Prädikat besonders wertvoll.


KURIER-Wertung: ****
* von *****

Janáček-Premiere: Große Zustimmung

Das Werk: "Aus einem Totenhaus" von Leoš Janáček wurde 1930 am Brünner Nationaltheater uraufgeführt. Die Wiener Staatsoper spielt dieses Werk zum ersten Mal.

Die Produktion: Die Neudeutung von Peter Konwitschny ist packend, das Dirigat von Franz Welser-Möst energiegeladen, die Besetzung famos.