Kultur

So sollte zeitgenössische Musik öfter klingen

Bedarf es wirklich immer erst eines Jubiläums, um dieses Werk zur Aufführung zu bringen? Fünf Jahre ist es her, dass Friedrich Cerhas Opus magnum "Spiegel I-VII" zuletzt komplett zu hören war. Das war damals bei den Bregenzer Festspielen. Der Anlass damals: Cerhas 80. Geburtstag. Der damals programmatisch Verantwortliche: Matthias Lošek, der für die spannende Reihe "Kunst aus der Zeit" zuständig war.

Jubilar

Und 2011? Die Musikwelt feiert Cerhas 85. Geburtstag. Matthias Lošek ist inzwischen zum Leiter des Festivals Wien Modern avanciert, und wieder - diesmal zum Auftakt des Festivals - waren Cerhas "Spiegel" zu hören. Das ORF Radio Symphonieorchester Wien und Chefdirigent Cornelius Meister widmeten sich im gut besuchten, aber nicht ausverkauften Konzerthaus diesem Klassiker der Moderne, diesem gefährlich doppelbödigen, dabei sehr anhörbaren, zugänglichen Meisterwerk.

Großartig, wie Meister und das hervorragende, groß besetzte RSO alle Klangflächen Cerhas mit Präzision, aber auch mit Emotion zum Klingen brachten. Da wurden nicht nur sämtliche musikalische Strukturen sichtbar, da wurde auch die Botschaft des Komponisten deutlich.

Denn die "Spiegel" stehen in ihrer auf,-und abschwellenden Radikalität auch für die Schrecken jedes Krieges, künden von den Tragödien und den Verbrechen des 20. Jahrhunderts. 1960/'61 hatte Friedrich Cerha dieses technisch perfekt gebaute Werk geschaffen. Im Konzerthaus verfolgte der Doyen der österreichischen zeitgenössischen Klassik, wie Cornelius Meister als erst dritter "Spiegel"-Dirigent (nach Cerha selbst sowie Sylvain Cambreling) diesen Zyklus auf seine Zeitlosigkeit hin überprüfte.

Mit Erfolg. "Spiegel" - für die Tonband-Zuspielungen im dritten Teil sorgte Karlheinz Essl - ist ein zeitloses Stück. Ja, man hört, wann es entstanden sind; das Werk kann sich aber im Kanon der Klassiker behaupten. Einfach weil es großartig ist.

So müsste man nur noch dem Wunsch des Wien-Modern-Eröffnungsredners Lothar Knessl nachkommen. Dieser forderte mehr Mut zur modernen Repertoirepflege. Schön wär's.

KURIER-Wertung: *****
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