Kultur

Snow-Patrol-Sänger über Alkoholsucht: "Wollte nicht, dass die Leute mich so sehen“

„Ich hätte mich nicht lokalisieren können, obwohl ich in meinem Körper stand.“

Es ist schon ein recht schräges Statement, das Gary Lightbody, Frontmann von Snow Patrol, da im KURIER-Interview rausschießt. Aber es verdeutlicht perfekt die Verwirrung, die ihn während seiner Alkoholsucht über viele Jahre begleitete. Obwohl er seit 2016 clean ist, hat die Sucht bis heute Auswirkungen – auch auf die Songs seines neuen Albums „The Forest Is The Path“, mit dem die Band ihrem hymnischen melancholischen Alternative-Rockstil treu bleibt.

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Mitgeschleppt

„In allen diesen Songs singe ich über die Liebe, aber diesmal aus der Sicht von heute, gerichtet an mein 30- oder 35-jähriges Selbst“, erklärt der 48-Jährige, der für seine Band den später von Leona Lewis gecoverten Superhit „Run“ geschrieben hat. „Wir alle haben Dinge, die wir aus unserer Vergangenheit mitschleppen. Ich bereue, dass ich durch den Alkohol in meinen Beziehungen – und damit meine ich nicht nur romantische Beziehungen, sondern auch Familie und Freunde – nie genug gegeben habe. Aber mit diesen Songs kann ich das loslassen. Denn ich will nicht den Rest meines Lebens daran denken, was ich falsch gemacht habe, sondern die Liebe geben und annehmen, die gerade jetzt existiert.“

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Wenn überhaupt, sagt Lightbody, habe er während der Sucht nur 20 % von sich geben können. „Ich will mich dabei gar nicht darauf ausreden, dass ich dauernd auf Tour war. Physische Abwesenheit macht stabile Beziehungen natürlich schwieriger. Aber auch wenn ich zu Hause war, war ich so von Sinnen, dass ich gar nicht mit jemandem kommunizieren wollte. Ich wollte nicht, dass die Leute mich so sehen.“

Mithilfe von Akupunktur konnte Lightbody seine Sucht überwinden. Endlich clean kamen aber die Depressionen und die Gefühle von Selbsthass wieder hoch, die Lightbody immer schon begleitet haben. Auch schon als er vor 20 Jahren „Run“ geschrieben hat. Die Zeile „Light up, light up“ entstand zwar, als er nach zehn Jahren erfolglosen Musikerdaseins in seiner Wohnung in Glasgow saß und ihm der Strom abgedreht wurde, weil er die Rechnung nicht bezahlt hatte. Im Nachhinein aber, sagt er: „,Light up, light up’ war definitiv schon damals an mich und mein Gemüt gerichtet.“

Die Depressionen bekam Lightbody mit einer guten Freundin und langen Spaziergängen im Wald in den Griff, die „The Forest Is The Path“ den Namen geben. „Ich gehe täglich im Wald spazieren“, sagt er. „Es ist so wichtig, sich von seinem Telefon und dem Business zu lösen und sich mit der Umwelt zu verbinden. Eine sehr gute Freundin von mir hat bei so einem Spaziergang festgestellt, dass ich immer auf den Boden schaue. Sie hat mich immer wieder ermutigt, die Bäume bewusst wahrzunehmen – mit den Worten: ,Die helfen dir zu atmen!“ Das war so wichtig für mich, denn dadurch fühle ich die Verbundenheit mit der Natur, die uns trägt und das Leben ermöglicht.“

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Ähnlich war es bei den Aufnahmen zum Album „The Forest Is The Path“ – aber erst beim zweiten Anlauf. Fünf Monate waren Snow Patrol mit einem Produzenten im Studio gewesen, verirrten sich mit ihm in „wirre Sackgassen“. Das hatte zur Folge, dass Bassist Paul Wilson und Schlagzeuger Jonny Quinn die Band verließen. Nach einer Pause starteten Lightbody, Keyboarder Johnny McDaid und Gitarrist Nathan Connolly einen neuen Versuch und kamen Fraser T. Smith als Produzent in einen „wunderbaren“ kreativen Fluss. 

„Auf die Bühne gehen, ist Spaß, aber Songs zu schreiben ist ein ,Zerreiß dein Herz und flicke es wieder“-Prozess, weil du in tiefen Wunden gräbst, die über den Song zur Heilung kommen können. Aber mit Fraser waren wir so im Flow, dass wir in fünf Wochen fertig waren. Es war ein Gefühl, als ginge die Energie, die da zustande kam, nicht nur von unseren Herzen, unserem Blut und unseren Körpern aus, sondern auch von dem Universum und den Menschen, die um uns waren. Ich spürte eine Verbundenheit mit etwas Größerem. Und das gibt mir immer Seelenfrieden. Es macht mich bescheiden, wenn ich daran erinnert werde, dass wir alle für einen winzigen Moment auf einem kleinen, sich drehenden Felsen in diesem riesigen Weltall existieren. Manche Leute fühlen sich dann sehr klein, aber ich mag es, mich klein zu fühlen. Denn ironischerweise spüre ich genau dann diese beruhigende Verbundenheit.“