Kultur

Sergej Prokofjev: "Der wandernde Turm"

Es begann mit einem Zittern. Der Eiffelturm riss sich vom Fundament los und marschierte von der Seine weg. Man musste keine Angst vor ihm haben, denn er gab acht, mit seinen eisernen Füßen vorsichtig aufzutreten. Nur manchmal erwies er sich als ungeschickt, er war ja bisher noch nicht so viel unterwegs gewesen, und riss ein Stück Hausfassade ab.
Was trieb ihn an? Wohin wollte er denn? Den Turm von Babel hätte er gern kennengelernt. Ein Plauscherl unter Kollegen. Er versuchte übers Meer zu schwimmen. Das klappte nicht. Jetzt steht er in der Schweiz zwischen Kühen und überlegt ...

 

In der Eisenbahn

Die Erzählung "Der wandernde Turm" stammt vom russischen Komponisten Sergej Prokofjev (1891–1953). Man wusste zwar, dass ihm die Literatur genauso lieb war wie die Musik. Aber dass Prokofjev Prosa schrieb, übrigens meist auf seinen vielen Reisen in der Eisenbahn, das überraschte fast alle. Der deutsche Konzertpianist Lucian Plessner hatte die Entdeckung gemacht. Er gastierte in Moskau, durfte in der Bibliothek des großen Filmemachers Sergej Eisenstein (1898–1948) stöbern und fand eine vergilbte Musikzeitschrift mit aufgeschlagener Seite – drei Geschichten des "Peter und der Wolf"-Komponisten waren in Sowjetzeiten abgedruckt worden. (Prokofjev und Eisenstein hatte eine Freundschaft verbunden, und an Filmprojekten wie "Alexander Newski" hatte man gemeinsam gearbeitet.)

Absurditäten

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Heute weiß Plessner: Elf Erzählungen aus den Jahren 1917 bis 1921 existieren, einige unvollständig. Oleg Prokofjev, der Sohn, ermutigte den Deutschen zu Übersetzung und Herausgabe. Seit Montag ist das Buch im Handel. Sergej Prokofjev war – auch – als Schriftsteller fantastisch, surreal, unlogisch. Sein Leben war ja selbst nicht frei von Absurditäten. Zuerst war Stalin sein Förderer, dann durften seine Werke nicht mehr aufgeführt werden, dann wurde seine Frau Lina zu 20 Jahren verschärftem Arbeitslager verurteilt ... Er starb am selben Tag wie Stalin. Beim Schreiben war Prokofjev Komponist geblieben: Sein Entdecker macht im Nachwort deutlich, wie Motive wiederholt werden. Etwa die Bemerkung, jemand sehe aus wie ein Koffer, dem man die Geige entnommen hat, taucht mehrmals auf. Ausgebaut. Variiert. Das macht Tempo. Ein klassischer Kompositionsgriff. Einen Elefanten, der um eine Orange bettelt und dem deshalb ein Schauspieler mit Verachtung auf den Rüssel spuckt, den gibt’s in dem schönen Buch auch noch.