Sam Smith kann die Fesseln des Soul-Balladen-Stils nicht sprengen
„Hattest du je das Gefühl, dass der Spiegel nicht gut für deine Gesundheit ist?“ Das fragt Sam Smith in „Love Me More“, dem ersten Song seines heute erscheinenden vierten Albums „Gloria“.
Es ist einer dieser Tracks, mit denen der Brite, der sich 2019 als nicht-binär outete, seine seelischen Probleme mit diesbezüglichen Diffamierungen und daraus resultierendem Selbsthass offenlegt. Eine von den souligen Balladen, die er so glänzend singt, die ihm vier Grammys, drei Brit-Awards und ein Millionenpublikum eingebracht haben.
Diesmal aber endet der Song nicht in Leid und Elend. Das Fazit von „Love Me More“, einem der besten Tracks von „Gloria“, ist die hoffnungsvolle Feststellung: „Jeden Tag versuche ich, mich nicht selbst zu hassen. In letzter Zeit schmerzt es nicht mehr wie zuvor, vielleicht lerne ich, mich mehr zu lieben.“
Schon im Sommer ließ Smith seine Fans mit einem offenen Brief auf seiner Website wissen, dass er an Selbstsicherheit gewonnen hat, dass er deshalb mit „Gloria“ auch Songs bringen wird, die anders sind.
Damit meint er Dance-Pop-Tracks wie „Lose You“ oder „I’m Not Here To Make Friends“, in denen er von verlorener Liebe oder der Lust auf Sex singt.
Wie es dazu kam, erzählte er dem Billboard Magazin: „Ich habe so viele Herz-Schmerz-Songs geschrieben. Die handelten nicht alle von mir, sondern auch von anderen Leuten. Diesmal wollte ich aber zuversichtlicher und stärker klingen, eine andere Stimme in mir zum Ausdruck bringen. Ich wollte nichts rausbringen, was ich nicht von Anfang bis Ende komplett lieben kann.“
Obwohl Smith die Dance-Pop-Tracks von "Gloria" liebt, sind sie eher nur Durchschnittsware - nett zur Untermalung des Alltags, aber unter die Haut geht dabei wenig. Viel aufregender ist da schon der Vorab Hit „Unholy“, auch das von karibischem Flair durchtränkte „Gimme“ (mit den Rapperinnen Koffee und Jessie Reyez) und der sakrale, mit einem Kirchenchor aufgenommene A-capella-Song „Gloria“.
Interessant sind auch die zwei Zwischenspiel-Tracks, mit denen Smith den Kampf der LGBT-Community gegen sexuelle Diskriminierung dokumentiert. „Hurt Interlude“ ist ein News-Bericht zur ersten Pride-Parade in New York in den 70er-Jahren und „Dorothy’s Interlude“ fusioniert Judy Garlands „Over The Rainbow“ mit einem kurzen Ausschnitt aus einer Rede von Trans-Aktivistin Sylvia Rivera.
Am Ende klingt Sam Smith auf "Gloria" aber doch wieder hauptsächlich dann zutiefst berührend, wenn er wie bei „How To Cry“ oder „Who We Love (feat. Ed Sheeran)“ in seinem gewohnten, aber doch engem stilistischen Spektrum bleibt.
INFO: Am 18. 5. tritt Sam Smith in der Wiener Stadthalle auf. Karten für das Konzert gibt es unter www.oeticket.com