Rolling-Stones-Pianist Chuck Leavell: „Mick ist der Disziplinierteste“
Am 15. Juli ist es so weit: Die Rolling Stones kommen wider nach Österreich und treten mit Bilderbuch im Vorprogramm im Wiener Ernst-Happel-Stadion auf. Es gibt nur mehr Restkarten für diese „Sixty“-Show, mit der die legendäre Rock-Band feiert, dass sie seit 60 Jahren live spielt. Gleichzeitig feiert Keyboarder Chuck Leavell, dass er seit 40 Jahren mit Sänger Mick Jagger und den Gitarristen Keith Richards und Ron Wood auf der Bühne steht. Im KURIER-Interview gibt der 70-Jährige, der auch der „Musical Director“ der Rolling Stones ist, Einblicke in das Backstage-Leben auf der „Sixty“-Tour.
KURIER: Sie sind der Musical Director der Rolling Stones. Welche Aufgaben umfasst dieser Job?
Chuck Leavell: Ich muss immer über diesen Titel lachen, denn natürlich sind Mick Jagger und Keith Richards die musikalischen Chefs bei den Stones. Ich habe diesen Titel bekommen, weil ich 1989, als wir für die „Steel Wheels“-Tour geprobt haben, damit begonnen habe, Notizen zu machen und aufzuschreiben, wenn wir bei Songs zum Beispiel andere Akkorde spielen als auf den Platten. Ich habe notiert, wo Solos kommen, wo die Bläser einsetzen und so weiter. Über all die Jahre sind da zwei sehr dicke Bücher zusammengekommen mit all diesen handschriftlichen Aufzeichnungen. Dadurch kamen mit derartigen Fragen dann bald alle zu mir. Ich habe auch Aufzeichnungen über das korrekte Tempo der Songs, zähle deshalb manche ein. Und ich gebe Mick gewisse Zeichen.
Welche Zeichen?
Wenn Mick intensiv mit dem Publikum gearbeitet hat und weit draußen auf den Stegen war, weiß er manchmal nicht mehr, wo wir sind. Dann zeige ich verstohlen mit der Hand ein C für Chorus, den Refrain oder ein V für Verse, die Strophe. Angefangen hat das aber mit Charlie Watts. Er war mehr ein Jazz-Drummer, dadurch verunsichert, wann in bestimmten Songs Breaks kommen. Er sagte immer: „Vergiss nicht, mir da ein Zeichen zu geben!“ Also habe ich das gemacht.
Wie gehen Sie mit dem Verlust von Charlie Watts um?
Es tut noch immer weh und gibt uns einen Stich im Herzen, wenn wir daran denken. Wir vermissen ihn – als Mensch, als Freund und als dieses musikalische Talent, das er war. Es war halt auch so ein Schock, denn es kam so unerwartet. Wir bekamen die Nachricht während der Proben zu der US-Tour im Herbst 2021. Da war schon klar, dass er die nicht mit spielen kann, weil er sich einer Operation unterziehen muss. Aber alle – inklusive der Ärzte – dachten, dass er das gut übersteht und nach drei Monaten wieder bei uns ist. Als wir erfuhren, dass er gestorben ist, haben wir die Proben erst einmal unterbrochen und uns als Freunde zusammengesetzt, darüber geredet und Erinnerungen an ihn ausgetauscht. Aber eines ist ganz sicher: Charlie hätte nicht gewollt, dass die Rolling Stones wegen ihm aufhören.
Stimmt es, dass Charlie seinen Nachfolger Steve Jordan selbst vorgeschlagen hat?
Diese Tour war ja eigentlich schon für 2020 geplant, musste aber wegen der Pandemie verschoben werden. 2021, als klar war, dass Charlie ins Spital muss, sagte er, dass er nicht noch einmal verschieben will. Als wir deshalb über seinen Ersatz sprachen, kam sofort Steve Jordans Name auf, und Charlie sagte: „Ja, das ist unser Mann.“
Die Rolling Stones feiern mit der „Sixty“-Tour 60 Jahre auf der Bühne, Sie 40 Jahre mit den Stones. Können Sie sich noch an Ihren ersten Auftritt mit dieser Band erinnern?
Nicht an den genauen Tag. Es war 1982 in Schottland. Da haben wir in Theatern drei Aufwärmkonzerte für die Tour gespielt. Ich glaube, das erste war in Aberdeen, und es muss irgendwann Mitte Mai gewesen sein. Vorigen Herbst aber schrieb mich übers Internet ein Fan an und sagte: „Weißt du, dass heute der 40-Jahrestag deines ersten Auftritts mit den Stones ist?“ Ich habe da gar nicht mehr dran gedacht, aber ich habe schon 1981 bei einem unangekündigten Stones-Konzert bei mir in Atlanta mit ihnen gespielt. Ich hatte mich mit Ian Stewart angefreundet, der zuerst Gründungsmitglied der Stones war, dann aber nur mehr Roadie. Er hatte mich damals dazu eingeladen, noch bevor ich offiziell in der Tourband war.
Wie feiern Sie die Jubiläen?
Damit, dass wir uns fit halten und diszipliniert sind. Mick ist sicher der Disziplinierteste von uns. Er arbeitet permanent an seiner Fitness, macht andauernd seine Stretching-Übungen und zwei Mal am Tag Stimmband-Training. Der Grund dafür ist, dass wir das alles nicht für selbstverständlich nehmen. Diese Band muss nicht wegen des Geldes auf Tour gehen. Es ist für uns alle eine Leidenschaft, und wird sind dankbar, dass wir das noch immer tun können – speziell auf diesem Stadion-Level. Deshalb feiern wir damit, dass wir auf unsere Gesundheit achten und hart daran arbeiten, dass wir eine gute Show bieten und uns lange erhalten können, das zu tun, was wir lieben.
Wie schwierig ist es, in Zeiten der Pandemie auf die Gesundheit zu achten?
Mick hatte sich ja infiziert, und wir mussten zwei Shows verschieben. Man muss deshalb extrem vorsichtig sein. Es ist aber nicht möglich, immer nur in der Bubble und im Hotel zu bleiben. Wir haben halt immer Masken auf, wenn wir rausgehen, speziell in Innenräumen. Wir gehen nur in Restaurants, wo man draußen sitzen kann, und wir treffen keine Freunde. Wenn man so viele Jahre auf Tour ist, freundet man sich überall auf der Welt mit Leuten an. Die rufe ich jetzt per Video-Call an und sage: „Ich bin in der Stadt, würde gern mit dir zum Essen gehen, aber ich darf dich nur über den Bildschirm begrüßen.“
Für Ihr jüngstes Solo-Album „Chuck Gets Big“ haben Sie die Stones-Songs „Honky Tonk Women“ und „Tumbling Dice“ mit der Frankfurt Radio Big Band aufgenommen. Wie kam es dazu?
Ich wurde eingeladen, mit der Frankfurt Radio Big Band zu arbeiten, und habe dafür Songs aus allen meinen Karriere-Phasen zusammengestellt – ein paar von den Solo-Alben, ein paar von den Allman Brothers und welche von meiner Band Sea Level. Und von den Stones-Songs sind die beiden diejenigen, die am besten für ein Big-Band-Arrangement geeignet sind.
Im Film „Tree Man“ dokumentieren Sie auch ihr Leben als Forstwirt auf der Charlane-Plantage südlich von Atlanta und ihr Engagement für den Umwelt-Schutz. Diesbezüglich gibt es als Folge des Ukraine-Krieges aber jetzt eher Rückschritte.
Das ist so tragisch, denn wir müssen sofort handeln, um das Ruder noch herumzureißen. Satt dessen steckt man das Geld jetzt in Aufrüstung und reaktiviert Kohlekraftwerke. Ich muss aber sagen, dass ich Österreich und auch Deutschland immer bewundert habe, weil es die Länder in Europa sind, die in Bezug auf Umweltschutz und den Kampf gegen den Klimawandel immer Vorreiter waren.