„Wir dürfen sie nicht vergessen“
Von Christina Böck
„Der zündende Funke der Revolte“ heißt die erste Geschichte im neuen Comic-Band „Frau, Leben, Freiheit“ (Rowohlt), den die Illustratorin und Filmemacherin Marjane Satrapi herausgegeben hat. Comiczeichnerin Bahareh Akrami und Politologe Farid Vahid erzählen darin die letzten Stunden von Mahsa Jina Amini und wozu sie geführt haben. Am 13. September 2022 wird die junge Frau in Teheran von der Sittenpolizei verhaftet und so schwer am Kopf verletzt, dass sie ins Koma fällt.
Im Comic erklärt das Alter Ego der Zeichnerin, das sei „die Technik der verdammten Bastarde, die Frauen dorthin zu schlagen, wo sie ihrer Ansicht nach sündigen.“ Ihr Gesprächspartner, ein sehr anständiger Vogel mit langem Hals, ermahnt sie wegen der Schimpfwörter. Drei Tage später stirbt Mahsa Jina Amini. Die Kunde von ihrem sinnlosen Tod verbreitet sich und löst eine beispiellose Protestwelle im Iran aus.
Bahareh Akrami selbst hat, wie die meisten, über Social Media davon erfahren. Vor Ort konnte sie an den Protesten nicht teilnehmen. Sie verließ den Iran mit drei Jahren 1986, damals flohen ihre Eltern, die im Widerstand gegen die Ayatollahs waren, vor Massenhinrichtungen nach Frankreich. Sie hat das Land, in dem sie geboren wurde, seitdem nie mehr gesehen.
Und trotzdem kam auch ihr Leben wegen islamistischen Fundamentalismus in Gefahr: Sie ist eine Überlebende der Anschläge vom 13. November 2015 in Paris. Damals wurden bei Schießereien und Explosionen an fünf verschiedenen Orten 130 Menschen getötet und 683 verletzt. Akrami befand sich an dem Abend in der Bar „Le Carillon“, in der 14 Menschen im Kugelhagel starben. Den Prozess verfolgte sie täglich als Zeichnerin, sie entschied sich außerdem, als Nebenklägerin aufzutreten. Daraus entstand später ein Comicband („On aurait aimé savoir“, deutsch: Wir hätten es gerne gewusst).
Auch die Geschehnisse im Iran begleitet Akrami seit Oktober 2022 regelmäßig aktuell: mit gezeichneten Chroniken in einem Blog auf der französischen Investigativ-Plattform Mediapart. Sie beschreibt die Absicht des Comic-Bandes „Frau, Leben, Freiheit“ so: „Wir möchten den Iranerinnen und Iranern zeigen, dass wir sie nicht vergessen haben und dass wir ihren Kampf hierher weitertragen.“ Dazu passt die zweite von ihr gestaltete Story im Buch, „Menschen, die Geschichte geschrieben haben“. Da werden Frauen und Männer porträtiert, die es mit ihrem Einsatz wahrscheinlich nicht in die Geschichtsbücher schaffen. Die aber zeigen, wie der Mut und die Selbstlosigkeit Einzelner diese Bewegung erst möglich machen. Etwa Aida Rostami, eine 36-jährige Ärztin, die regelmäßig die Verletzungen von Demonstrierenden in Teheran im Geheimen versorgt hat. Sie können in keine Spitäler, weil sie dort wahrscheinlich verhaftet werden. Eines Abends verschwand sie nach so einem Einsatz. Die Behörden sagten erst, sie hätte einen Autounfall gehabt, dann, sie hätte sich aus Liebeskummer von einer Brücke gestürzt. Die Verletzungen ihrer Leiche erzählen aber eher von schwerer Folter. Akramis knapper, aber dringlicher Kommentar über diese Porträts: „Ich will, dass diese Menschen nicht vergessen werden.“
Über die aktuelle Situation sagt sie: „Ja, es stimmt, es sind weniger Demonstrationen, denn die Iranerinnen und Iraner haben Angst. Die Unterdrückung, die Repressionen waren jetzt ein Jahr lang wirklich erbittert. Und noch dazu ist die wirtschaftliche Situation ein Fiasko. Die Menschen versuchen einfach nur, zu überleben. Sie bleiben aber trotzdem mobilisiert, eben auf andere Arten, besonders mit zivilem Ungehorsam. Abgesehen davon ist es aber eine fundamentale Bewegung, hier wurde eine Gesellschaft in ihrem Kern aufgewühlt.“
Nach Freiheit dürsten
Es wird weiterhin gefoltert und getötet, vor allem im berüchtigten Gefängnis Evin, aber in den Medien findet man längst nicht mehr so viele Artikel über den Iran wie noch vor Monaten, wird nicht mehr hingeschaut? „Ja, es ist deprimierend, dass die Medien das Interesse an der Situation verloren haben. Aber so sind die Regeln des Nachrichtengeschäfts. Wir Iraner der Diaspora müssen uns jetzt dafür einsetzen, dass weiter darüber geredet wird. All jene, die nach Freiheit dürsten und wir, die wir ihren Kampf weitertragen, wissen: Erlösung kommt nicht von Politikern, wer immer sie sein mögen, sondern durch die Zivilbevölkerung.“
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