Kultur

Premiere des ersten Kehlmann-Stücks

Es begann vor zwei Jahren. Mit harscher Kritik am Spaghettiessen auf deutschsprachigen Bühnen, heißt: einer Ab-Rede ans Regietheater, mit der Daniel Kehlmann die Salzburger Festspiele eröffnete. Die nahmen die Schelte zum Anlass, beim Erfolgsautor ein Stück in Auftrag zu geben. Sein erstes. Heuer, weil nicht rechtzeitig fertig, in Salzburg zwar nicht uraufgeführt, aber in einer fulminanten szenischen Lesung dargeboten.

Der Zuschlag fürs Inszenieren von "Geister in Priceton" ging ans Schauspielhaus Graz. Intendantin Anna Badora wird damit in eigener Regie ihre sechste Spielzeit am Haus eröffnen. Sie traf Kehlmann, er traf ihre Leidenschaft für Naturwissenschaften. In den Ferien gab's von Badoras Mann, einem Biophysiker, einen Crashkurs. Samt Lektüre. "Stephen Hawkings ,Die kürzeste Geschichte der Zeit' sozusagen als ,Hausaufgabe'", lacht sie.

Kehlmann, der für seinen Bestseller "Die Vermessung der Welt" Gauß und Humboldt als Protagonisten wählte, macht den großen österreichischen Wissenschaftler Kurt Gödel zum Mittelpunkt seines Stücks. Mehr noch: Er hat es nach dessen mathematischen Thesen gebaut.

Reisen durch die Zeit

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"Gödel hat unseren linearen Zeitbegriff infrage gestellt", erklärt Badora. "Da sich nach seiner Vorstellung das Universum in sich selber krümmt, ist jeder Moment für immer und alle Ereignisse, auch das menschliche Leben, laufen gleichzeitig ab. Konsequent weitergedacht wären so Zeitreisen theoretisch möglich." Deshalb gibt es bei Kehlmann zum Beispiel eine Szene, in der ein schon verstorbener Gödel und Princeton-Gödel dem unwilligen Kind-Gödel bei den Matheaufgaben helfen. Er werde dieses Rätsellösen bald zu schätzen wissen, lockt der Princeton-Gödel sein junges Alter Ego. Bloß nicht, warnt der Tote, werd' lieber ein Ingenieur!

Hinreißend auch der Satz, mit der das Genie auf der Flucht vor den Nazis im tiefsten Nirgendwo seiner darob grummeligen Gattin erklärt: "Du überschätzt die Bedeutung von Zeit und Raum." So brillant, so uninszierbar? Ist die Frage, die man beim Lesen von Kehlmanns Parallelitäten-Drama denkt. Auch Anna Badora ging sie im Kopf herum. Gödel ist mehr, als der Hausverstand fassen kann. Eine ungeheure Herausforderung. An deren Lösung die Regisseurin mit einem Spezialglas arbeiten will, das per Knopfdruck durchsichtig oder undurchsichtig geschaltet wird.

Gleichzeitigkeiten, Geistererscheinungen ( Gödel glaubte sich etwa von seinem ermordeten Mentor, dem Philosophen Moritz Schlick, beschirmt) sollen, weil hinter Glas "unpeinlich" sein. "Tanz der Galaxien" nennt Badora diese poetische Dimension, die sie ihrer Arbeit beifügt, "um auf die metaphysische Ebene des Textes hinzuweisen".

Genauso wichtig ist ihr die politische, zeithistorische, von der "braunen Pest" bis zur die Atombombe bauenden USA. "Dafür", sagt sie, "hat man die fähigsten Köpfe rekrutiert. Der damalige Rektor von Princeton hat sich ja ironisch bei Hitler ,bedankt', dass er ihm all diese Wissenschaftler geschickt hat."

Johannes Silberschneider wird Kurt Gödel darstellen. Das passt nicht nur optisch. "Denn", so Badora, "der eine ist grüblerisch und selbstzweifelnd wie der andere."

Gödel-Darsteller Johannes Silberschneider im Gespräch:

KURIER: Die Gretchenfrage lautet hier wohl: Wie halten Sie's mit der Mathematik?
Johannes Silberschneider: Ich war ein schlechter Mathematikschüler. Mein Gymnasiumsdirektor, der mich in dem Fach unterrichtete, war allerdings ein großer Gödel-Verehrer. Der Name ist mir seit damals vertraut.

Wie geht's Ihnen mit dem Theatercharakter Gödel?
Er nimmt sehr schnell von einem Besitz, zuerst sehr nett, liebenswürdig, aber zum Schluss wird's mit ihm immer komplizierter. Eine eigenartige Persönlichkeit. Ein höflicher, unauffälliger Mensch, aber im Stillen bastelt er an einer geistigen Bombe, die er dann der Welt serviert. Er war seiner Zeit Jahrzehnte voraus. Er ist unbemerkt in die mathematische Festung eingedrungen und hat sie um den Mythos der Uneinnehmbarkeit gebracht.

Da dies eine Uraufführung ist, sind Sie der Erste, der dieser Figur Profil gibt.
Ich habe davor ein wenig Scheu. Ich fühle mich sehr in der Verantwortung Menschen gegenüber, die tatsächlich gelebt haben. Und das ist noch dazu der erste Auftritt eines österreichischen Genies in der dramatischen Szene, da habe ich schon Schiss. Aber der Erste bin ich ja nicht; der Erste war Peter Jordan bei den Salzburger Festspielen.

Waren Sie bei dessen szenischer Lesung?
Natürlich. Und mir hat da schon gefallen, dass das Stück trotz zeitgeschichtlicher und menschlicher Abgründe, trotz des naturwissenschaftlichen Überbaus Humor hat. Es ist eigentlich die Gegenthese zu Kehlmanns Salzburgrede. Es ist, was die Briten "witty" nennen - geistreich und witzig.

Gödel führte bei aller Genialität ein tragisches Leben. War er zu klug zum Leben?
Glaube ich nicht, er war vielleicht nur zu einseitig neugierig. Princeton war für ihn der falsche Boden. Im Vorkriegs-Wien hatte er ein gesellschaftliches Leben, Damenbekanntschaften, genoss diesen Schmelztiegel der Kulturen. In Princeton entwickelte er seine psychische Labilität, hatte keine Ablenkung vom Denken mehr in diesem einerseits kleinkarierten und spießigen, andererseits überdimensionalen Geistesgetto. In dieser Druckkochtopf-Atmosphäre konnte ja nur so etwas entstehen, wie die Atombombe und der Computer. Also die beiden vernichtenden Erfindungen des 20. Jahrhunderts.

Andererseits aber...
... darf man nicht vergessen, warum Gödel aus Österreich weg ist, frei nach dem Lueger-Ausspruch: Wer Jude ist, bestimme immer noch ich. Dazu fällt mir ein, dass Gödel einen ontologischen Gottesbeweis nach den Thesen eines mittelalterlichen Scholastikers errechnete und dann zu seinem Assistenten Hao Wang meinte: Dass Gott existiert, bedeutet nicht, dass er gut ist. Gödel hat sich da auf was eingelassen. Aber vielleicht will Gott, dass sich der Mensch mit ihm rauft, wie Jakob im alten Testament.

Verstehen Sie Gödel?
Er ist mir sehr nahe und vor allem sehr sympathisch. Ich verstehe vieles an ihm, aber will es nicht bis ins letzte Detail nachvollziehen können, sonst drehe ich auch noch durch. Die Mathematik aber - verstehe ich immer noch nicht.