"Parallel Vienna": Die Lichtquelle für Wiens Kunstschwärme
Von Michael Huber
Einmal pro Jahr macht sich die heimische Kunstszene zum dienstbaren Geist der Wiener Immobilienwirtschaft. Sie bündelt dann Aufmerksamkeit auf brachliegende Gebäude, die auf ihre Weiterverwertung warten, und verleiht ihnen ein wenig abgründigen Glamour. Ruinen gut aussehen lassen, das konnte schon der Maler Caspar David Friedrich im 19. Jahrhundert, und auch die zeitgenössische Kunst pflegt den romantischen Kult des Zerfalls.
Tatsächlich hat die "Parallel Vienna", wie diese Veranstaltung zur Umwertung aller Werte in Wien heißt, gewissen Charme: Schicke High-End-Galerien lassen sich hier darauf ein, neben künstlerischen Ich-AGs auszustellen, Akademien und private Kunstvereine schwirren ebenso zur Sichtbarkeit verheißenden Lichtquelle wie alternative Projektgemeinschaften. Die leise Ahnung, sich bei der Veranstaltung vor einen Wagen spannen zu lassen (das Stichwort lautet "Gentrifizierung") wird gern mit extra räudigen Installationen besänftigt. Irgendwie steht aber trotzdem alles zum Verkauf.
Schwarmintelligenz gefragt
Normalerweise schwirrt die Kunstwelt in Scharen zu diesem Event, heuer dürfen coronabedingt nur 300 Leute pro Zeitfenster das Leerstandsobjekt am Rudolf Sallinger-Platz - es war lange das so genannte "Gewerbehaus" der Wirtschaftskammer - besichtigen. Das Gebäude aus den 1950er Jahren hat zweifellos architektonische Qualität aufzuweisen - es fällt aber doch auch auf, dass die Gänge in dem achtstöckigen Bürohaus eher eng sind und die Besucherinnen und Besucher am Eingang - wo eine Anmeldung verpflichtend ist - durch ein Nadelöhr geschleust werden. Immerhin sind die meisten Räume mit großen Fenstern ausgestattet und werden gelüftet: Möge die Übung gelingen.
Die Droge Sichtbarkeit
Die Kunstszene freilich hat großen Hunger auf die "Parallel Vienna": Kunstschaffende wollen gesehen werden, insbesondere jene, deren Werke nicht ständig im Ausstellungs- und Galerienkontext zirkulieren. Für Studierende bietet die "Parallel" oft den ersten großen Auftritt, in den so genannten "Artist Statements" gelingen auch heuer sehenswerte Eindrücke.
So hat Nadine Hirschauer, Diplomandin an der Klasse Ortsbezogene Kunst der Uni für Angewandte Kunst/Paul Petritsch, einen schlichten, von innen leuchtenden Ballon in eine Bürokoje gepflanzt, der Proportionen in Poesie zu verwandeln in der Lage ist. Die Klasse "Skulptur und Raum" (Hans Schabus) legt ebenso einen starken Auftritt hin. Eindrucksvoll ist auch die Raumgreifende Präsentation des "Atelier 10", einer Einrichtung, die in der einstigen Brotfabrik Favoriten Flächen für Personen zur Verfügung stellt, die aus verschiedensten Gründen keinen Zugang zum "regulären" Kunstbetrieb haben.
Messe und mehr
"Kommerziellen" Galerien sieht man auf der Parallel sehr schnell an, ob sie die Veranstaltung bloß als zusätzliche Verkaufsfläche betrachten oder auf den Raum eingehen - wer schlau ist, stellt gleich die ganze Fläche einem Künstler oder einer Künstlerin zur Verfügung. So ist die Präsentation von Sophia Süßmilch, die die Galerie Krobath in einem luftigen Eck des Hauses installiert hat, sehr gelungen; ebenso der Raum mit den wilden Gemälden Josef Wurm (Galerie Heimo Bachlechner). Der Projektraum Viktor Bucher teilte ein Zimmer Julia Haugeneder zu, die eine Büro-Ordnerwand mit farbigen, gefalteten Planen in ein interessantes Skulpturenensemble verwandelte. Daneben stellte der Künstler Alfredo Barsuglia ein Double seiner selbst als Papp-Aufsteller in den Raum. Der Otto-Mauer-Preisträger selbst hat sich zur Laufzeit der Messe eine Helmkamera umgeschnallt, die sein Gesicht auf ein Tablet überträgt, das anstelle eines Kopfes auf die Puppe montiert ist: "The Artist Is Always Present" heißt die Arbeit.
Naturwolle und Kunstwollen
Generell sind die von Künstlerinnen und Künstlern gestalteten Räume das Alleinstellungsmerkmal der "Parallel", und auch heuer ist hier in der Fülle viel zu entdecken. Etwa die wabernde Skulptur von Emanuel Gollob, die sich Gehirnstrommessungen und Artificial-Intelligence-Technologie zunutze macht. "Doing Nothing with AI", erfährt man, generiert Skulpturbewegungen, wenn es Probanden, deren Gehirnströme gemessen werden, gelingt, nichts zu tun - inmitten der Hochtechnologie soll so Mut zum Innehalten gemacht werden.
Am Ende eines Ganges sitzt wiederum die Künstlerin Evelyn Papadopoulou und wäscht Schurwolle - der Prozess, sagt sie, habe etwas Meditatives, ist also vielleicht nicht ganz anders als das, was die AI-Skulptur auch erreichen möchte. Auch der Raum, den die Malerin Georgia Creimer für ihre Bilder gebaut hat, erreicht eine meditative Qualität, lässt kurz das Getriebe und den Grind des abgewohnten Gebäudes vergessen. Die Bereitschaft, sich im System "Parallel Vienna" in kleinen Raumzellen auf Kontemplation einzulassen, war allerdings schon einmal größer.