Kultur/Oscar

"Gravity": Völlig losgelöst von der Erde

Entfesseltes Schweben durch den Weltraum, Purzelbaum schlagen im All: Schwerelos gleiten die Körper – Kopf oben, Kopf unten – durchs Universum. Eine völlig losgelöste Kamera fliegt durch den Kinoraum und hebt die Zuschauer aus ihren Sesseln.

Mit sensationellen Bildern und einer einzigartig langen, flüssigen Einstellung eröffnet Alfonso Cuarón („Children of Men“) sein Sci-Fi-Überlebensdrama, mit dem die heurigen Filmfestspiele von Venedig begannen. Nichts weniger als die Gesetze der Schwerkraft hebeln der mexikanische Regisseur und sein Kameramann Emmanuel Lubezki effektvoll aus – in einem Überwältigungskino zwischen Schönheit und Schrecken.

„Die Aussicht ist toll“, sagt George Clooney alias Astronaut Matt Kowalski mit Blick auf die Erde, während Sandra Bullock als seine Kollegin Ryan Stone damit kämpft, ihr Frühstück im Magen zu behalten. Gemeinsam werkeln sie an einer Weltraumfähre herum, die repariert werden muss. Bullock hämmert und klopft, während Clooney – der komischer Sidekick des Duos – entspannt Schmäh führt. In Zeitlupe schweben Schrauben durchs All, bewegen sich die Astronauten schwerfällig durchs Nichts. Die Stimme vom Stützpunkt in Houston, mit der Clooney animiert herumscherzt, gehört im englischen Original übrigens Ed Harris – ein augenzwinkernder Hinweis auf dessen Rolle in einem anderen Weltraumfilm, „Apollo 13“.

Houston schweigt

Und dann passiert auch schon die klassische „ Houston, wir haben ein Problem“-Tragödie: Satellitentrümmer nähern sich in Wahnsinnsgeschwindigkeit, zerschlagen das Space-Shuttle und reißen die Forscher ins Nichts. In wilden Rotationen stürzt Ryan ins Endlose. Der Funkkontakt zu den Kollegen reißt ab, zurück bleibt universelle Stille.Die Kamera beobachtet das Desaster abwechselnd aus der Distanz, dann wieder ganz nah an Bullocks klopfendem Herzen.

Bis sich endlich die Clooney-Stimme wieder aus dem Funkgerät meldet, vergehen bedrückend wirklichkeitsnahe Schrecksekunden. Nur mit einem Seil mit dem Kollegen verbunden – praktisch die Nabelschnur zur Welt – versuchen beide Astronauten schließlich, die nächste Raumstation zu erreichen.

Digitaltechnik

Cuarón musste lange Jahre warten, ehe die Digitaltechnik für sein Projekt reif war, um gemeinsam mit klug eingesetzten 3-D-Effekten seinen unglaublichen Weltraum-Realismus zu erzielen. Leider macht er vor allem in der zweiten Hälfte des Films unnötige Kompromisse an gängige Hollywood-Konventionen. So wäre die dramatische Vorgeschichte aus Bullocks Erdenleben gar nicht nötig gewesen, um starke Identifikation mit ihrem Schicksal zu erzeugen. Dass sie allein im Weltraum um ihr Überleben kämpft und mehr als ein Nahtoderlebnis hat (aufwühlend und pointenreich zugleich), hätte völlig ausgereicht. Insgesamt aber hält Alfonso Cuarón in seinem schlanken 90-Minüter souverän die Spannung zwischen Ruhe und Action. Was existenzielle Einsamkeit bedeuten könnte – hier bekommt man einen beklemmenden Vorgeschmack.KURIER-Wertung:

INFO: Gravity. 90 Min. USA/GB, 2013. Von Alonso Cuarón. Mit Sandra Bullock, George Clooney, Ed Harris.

Der britische Playboy und der Mann, den sie Ratte nannten, hätten unterschiedlicher nicht sein können: James Hunt, Englands Formel-1-Weltmeister von 1976 und Niki Lauda, sein großer Herausforderer, standen Pate für Ron Howards höchst unterhaltsames und effektvoll erzähltes Rennfahrer-Duell. Daniel Brühl, im deutschen Kino meist der nette Bursche von nebenan, schlüpfte mit sichtlicher Begeisterung in die vorwiegend unsympathische Rolle von Hasenzahn Niki Lauda und beschimpft jeden genussreich als Arschloch und Trottel. Besonders in der englischen Originalfassung klingt Brühl seinem Original so verblüffend ähnlich, als wäre Lauda sein heimlicher Bauchredner. Was James Hunt – der blonde „Thor“ Chris Hemsworth – an Sexappeal versprüht, macht Technik-Tüftler Lauda mit stoischem Selbstbewusstsein wett. Wo dem einen die Girls zuströmen, übernimmt der andere pragmatisch die Ex-Freundin (Alexandra Maria Lara) von Curd Jürgens.

Drehbuchautor Peter Morgan spitzt die Gegensätze der Männer zu einem in psychologischer Spannung gehaltenen Kampf zwischen Leben und Tod zu und lässt sie in Laudas Unfall gipfeln. Ron Howards rasant inszenierte Rennszenen haben einen impressionistischen, stimmungsvollen Vintage-Look und machen „Rush“ zu einem Glanzstück des großen Kinos.

KURIER-Wertung:

INFO: Rush – Alles für den Sieg. USA/D/GB 2013. 123 Min. Von Ron Howard. Mit Daniel Brühl, Chris Hemsworth.

Alle Inhalte anzeigen

Animation. Wenn eine Ratte Chefkoch im Haubenrestaurant werden kann, warum sollte nicht auch eine Schnecke ein Autorennen gewinnen? Sichtlich inspiriert von Pixars „Ratatouille“, konstruierte Dreamworks nun eine etwas abwegige Geschichte rund um eine Gartenschnecke, die gerne an Autorennen teilnehmen würde. Die amerikanische Frohbotschaft für jedes Kinderzimmer – „Verfolge deinen Traum, egal wie absurd er ist!“ – nimmt interessante Formen als, als der Schneckenheld versehentlich in den Motor eines Rennautos gerät und dort Dioxide schnüffelt. Diese fahren ihm ein wie ein Fieberzäpfchen und verwandeln das Schleichtier in eine Mini-Rakete. Man könnte die Transformation als eine Art Doping bezeichnen, obwohl das sicher nicht die Message ist, die Dreamworks für sein Familienpublikum im Auge hatte.

Die Figuren-Animation ist im Übrigen reizend, wobei nicht ganz so einfallsreich und visuell vielfältig wie etwa die Zoo-Tiere in Dreamworks’ „Madagascar“-Franchise. Doch Rennschneck Turbo und sein spießiger Bruder geben zusammen ein wirklich witziges Paar ab.

Die gemeinsame Fahrt zum großen Autorennen beginnt sich ein bisschen zu ziehen, wie auch das Rennen selbst etwas von dem aberwitzigen Umstand geplagt wird, dass eine Schnecke zwischen Autoreifen überlebt. Egal – mit Kindern macht Turbo in jedem Fall Spaß.

KURIER-Wertung:

INFO: Turbo – Kleine Schnecke, großer Traum. USA 2013. 96 Min. Von David Soren. Dt. Stimmen: Malte Arkona.

Alle Inhalte anzeigen

Tragikomödie. Wie oft wünscht man sich doch, man könnte die Zeit zurückdrehen; man könnte Menschen, die bereits gestorben sind, wieder treffen und ihnen Dinge sagen, die man verabsäumt hat; man könnte alte Fehler wiedergutmachen.

Noémie Lvovsky hat sich diesem durchwegs philosophisch-tragischem Thema mit großem Witz und sensibler Klugheit angenähert. Als frustrierte Mittvierzigerin Camille, die als glücklose Schauspielerin gerade vor dem Ende ihrer Beziehung steht, wacht sie plötzlich in den 80er-Jahren wieder auf. Sie befindet sich im eigenen Kinderzimmer, an der Wand hängt ein Plakat von „Flashdance“, und ihre Mutter ist auch noch am Leben. Nun besteht die Komik unter anderem darin, dass Lvovsky wahrlich nicht wie ein Teenager aussieht, alle anderen aber so tun, als wäre sie einer. Frohgemut hängt sie mit ihren alten Freundinnen ab und lernt prompt jenen Mann (wieder) kennen, der ihr – zwanzig Jahre später – das Herz gebrochen hat.

Gekonnt hält Lvovsky die Balance zwischen spritziger Komik und der melancholischen Einsicht, dass man die Zeit nicht aufhalten kann – und letztlich auch nicht will. Film-Legende Jean-Pierre Léaud hat einen Auftritt als Uhrmacher: Er ist alt, an ihm sieht man den unwiederbringlichen Fluss des Lebens. Auch er kann die Zeit nicht zurückdrehen – und wenn doch, dann nur im Kino.

KURIER-Wertung:

INFO: Camille – Verliebt nochmal! F 2012. 115 Min. Von und mit Noémie Lvovsky. Mit Samir Guesmi, Judith Chmela.

Alle Inhalte anzeigen