Oscar-Preisverleihung: Once Upon A Time ... In Südkorea
Von Alexandra Seibel
America not first.
Die neue Oscar-Dekade 2020 beginnt mit einer Sensation: Erstmals hat ein nicht englischsprachiger Film in der Königskategorie „Bester Film“ gewonnen. Völlig überraschend entschied sich die Academy dafür, den exzellenten, südkoreanischen Klassenkampf-Thriller „Parasite“ auszuzeichnen.Und warf damit Favoriten wie Sam Mendes, aber auch Todd Phillips und Martin Scorsese aus dem Rennen.
Einer der großen Verlierer des Abends hieß zweifellos Todd Phillips: Mit elf Nominierungen galt sein Comic-Drama „Joker“ als der große Favorit und stank dann mit „nur“ zwei Oscars – einen für Hauptdarsteller Joaquin Phoenix und einen für die Filmmusik von Hildur Guðnadóttir – komplett ab.
Auch Sam Mendes hatte sich für seinen technischen Kraftakt in dem Weltkriegsdrama „1917“ mehr erwartet: Doch Logistik – und sei sie noch so hochgeschraubt – ist nicht alles. Sein ausgetüffteltes Schützengraben-Erlebnis hat die Academy nicht davon überzeugt, „1917“ zum besten Film zu küren.
Klassenkampf-Thriller
Dafür triumphierte Bong Joon-hos „Parasite“ auf allen Ebenen: Erstmals war ein südkoreanischer Film überhaupt für einen Oscar nominiert worden – und hat dann mit vier Gewinnen gleich kräftig abgeräumt.
Aber was genau macht Bongs Film – übrigens bei Publikum und Kritik gleichermaßen ein Hit – so herrlich attraktiv?
Bong hat ein wunderbares Händchen für flottes Unterhaltungskino mit starkem Tiefgang, und konnte damit bereits in Cannes die Goldene Palme gewinnen. Sein „Parasite“ ist ein prächtiger Mix aus allen möglichen Genres: Thriller-Elemente mischen sich mit Drama und Komödie zu einer beißenden Klassensatire, in der eine pseudo-gebildete, neureiche Oberschichtsfamilie auf den Putz von Seoul trifft. Die Mitglieder der armen Familie Kim schleichen sich bei der reichen Familie Park ein wie „Parasiten“ und mobben deren Personal aus dem Haus. Die Parks selbst sind höchst freundliche Menschen; nur, wenn sie sich alleine wähnen, machen sie aus ihrer Verachtung für ihre Angestellten, die „nach Armut stinken“, keinen Hehl.
Bizarres Detail am Rande: Bong hat sich für eine monströse Kellerwohnung in seinem Film ausgerechnet vom österreichischen Fritzl-Haus inspirieren lassen.
Zwar tritt „Parasite“ als eindeutiger Sieger hervor, insgesamt jedoch hat die Academy die nominierten Filme nach dem Gießkannenprinzip belohnt: Alle bekamen ein bisschen etwas – ausgenommen der arme Martin Scorsese und sein „The Irishman“; obwohl zehnmal nominiert, erhielt sein melancholischer Mafia-Abgesang keinen einzigen Preis.
"Joker" und "Judy"
Die Schauspiel-Preise gingen vorhersehbar, aber absolut gerechtfertigt an Joaquin Phoenix, der sich als hysterisch lachender „Joker“ komplett entäußerte und eine sensationelle Performance hinlegte. Auch Renée Zellweger schritt als Gewinnerin für ihre Hauptrolle als Judy Garland völlig verdient vom Platz. „Judy“ selbst ist zwar insgesamt ein recht konventionelles Bio-Pic: Doch Zellweger legte in ihre Darstellung mehr als nur die perfekte Nachahmung hinein. Sie fügte der Figur einen entscheidenden Teil ihrer eigenen Persönlichkeit hinzu und machte damit „Judy“ zu einem innigen Filmerlebnis.
Netflix wiederum hat sich heuer eindeutig seine Hollywood-Watsche abgeholt. Mit insgesamt 24 Nominierungen war Netflix stärker im Rennen als jedes andere Produktionsstudio. Gewonnen hat der Streaming-Riese jedoch nur zwei Oscars. „The Irishman“ ging komplett leer aus, und auch Noah Baumbachs exquisites, sechsfach nominiertes Scheidungsdrama „Marriage Story“ wurde nur mit einem Oscar belohnt: Er ging an die umwerfende Laura Dern, die für ihre Rolle als Scheidungsanwältin den Oscar für Beste Nebendarstellerin erhielt.
Abgebissen
Auch in der Kategorie Bester Animationsfilm biss Netflix ab: Erstmals gingen zwei Trickfilme der Streaming-Plattform ins Rennen: „Klaus“ und „I Lost My Body“ – zwei hoch akklamierte Arbeiten – verloren gegen Pixars weit weniger herausragenden vierten Teil von „Toy Story“.
Zumindest damit kann sich Netflix trösten: Die Oscar-Zeremonie bietet für Netflix-Filme, die jederzeit abgerufen werden können, eine große Werbeplattform. Allerdings wurde sie auch teuer erkauft, denn Netflix investierte schätzungsweise 70 Millionen Dollar in seine Oscar-Werbekampagne, während die meisten Studios nur 15 Millionen Dollar dafür springen lassen.Trotzdem heißt es in diesem Fall: Hollywood first.