"Orest" an der Staatsoper: „Eine Art antikes ,Game of Thrones’“
- Heute kommt Manfred Trojahns zeitgenössische Oper "Orest" an der Wiener Staatsoper zur Premiere. Marco Arturo Marelli hat inszeniert, Michael Boder dirigiert. Die Oper basiert auf dem gleichnamigen Drama von Euripides (Inhaltsangabe bei der Staatsoper)
- Der KURIER hat mit Sängerin Audrey Luna und dem Komponisten über das Werk gesprochen.
Ein Eindruck, wie diese Oper klingt
Sängerin Audrey Luna: "Das ist wie einer Art antikes ,Game of Thrones'
Für Manfred Trojahns „Orest“ kehrt Audrey Luna an die Wiener Staatsoper zurück. Im Jahr 2015 sorgte sie als Luftgeist Ariel in der Oper „The Tempest“ von Thomas Adès erstmals im Haus am Ring für Furore. Atemberaubende, stets glasklare Koloraturen und szenisch bedingte Luftflüge machten die amerikanische Sopranistin auch in Wien zu einem Publikumsliebling. Für die Neuproduktion von Manfred Trojahns „Orest“ kehrt Luna ab heute, Sonntag, als Hermione zurück. Sie verkörpert in dem Werk die einzige Frau, die den dauermordenden Orest vielleicht erretten könnte. . .
„Ich glaube eigentlich nicht, dass es nach all dem Morden für irgendjemanden irgendeine Form von Happy-End gibt“, sagt sie zum KURIER. „Das suggeriert auch die Musik.“ Aber, so Luna lachend: „Ich treffe es als Hermione immer noch am Besten, denn ich gehe am Ende einfach weg. Die anderen Protagonisten sind entweder tot oder traumatisiert. Meine Figur hat wenigstens so etwas wie eine Zukunft. Das ist doch schon viel wert.“
Kurz, aber schwierig
Worin die Herausforderungen dieser Partie liegen? „Sie ist – wie auch das gesamte Werk – recht kurz. Aber natürlich hat Trojahn da schon ein paar bemerkenswert hohe Töne und Koloraturen hineingeschrieben. Die muss man auch erst meistern.“
Luna weiter: „Ich finde diese Oper übrigens sehr gut. Das ist eine Art antikes ,Game of Thrones’ – eine Serie, die ich ganz gern mag.“
Wie aber schafft es Luna so perfekt zwischen klassischer Oper und zeitgenössischer Musik zu changieren? „Wenn ich – sagen wir – die Königin der Nacht gesungen habe, freue ich mich auf etwas Modernes. Und nach einer modernen Oper kann die Rückkehr ins klassische Fach fast eine Erlösung sein. Ich liebe einfach beides.“
Doch woher kam Audrey Lunas Liebe zur Oper? „Musik war immer schon Teil meines Lebens. Aber ich wusste anfangs nicht, was ich damit machen sollte. Doch eines Tages habe ich eine Aufnahme von Maria Callas gehört. Ab diesem Moment habe ich als Teenager nur noch klassische Musik geliebt.“
Lachender Nachsatz: „An der Highschool war ich damit jedoch der absolute Loser. Die anderen sind in die Disco oder zu Popkonzerten gegangen, obwohl in Oregon da gar nicht so viel los war. Ich aber saß zu Hause und habe Oper um Oper gehört, mich in diese Welt versenkt. Und das als typisches ,All-American-Girl’.“
Zwischen den Welten
Der Weg war also vorgezeichnet. Luna studierte nach der Highschool Musik in Portland und Cincinnati, machte ihren Abschluss und wurde Ensemblemitglied der Oper in Santa Fe. Bald wurde sie jedoch entdeckt; heute singt sie an den bedeutendsten Häusern der Welt.
Aber: „Wenn mich junge Sänger fragen, ob sie diesen Weg einschlagen sollen, antworte ich immer: ,Nur wenn ihr es wirklich von Herzen wollt.’ Denn man zahlt auch eine Preis. Etwa die Einsamkeit durch das Reisen. Man lebt immer zwischen den Welten. Ich selbst gehe dann immer in die Natur. Sie gibt mir Ruhe, Kraft und Zeit zum Nachdenken. Da kann ich ganz bei mir sein, um nachher wieder Vollgas zu geben.“ - Peter Jarolin
Der Komponist Manfred Trojahn über sein Werk
Am Anfang war der Schrei, der Todesschrei der Königin Klytämnestra. Grell gellt er in den Schlaf ihres Sohnes, ihres Mörders. So beginnt Manfred Trojahns Oper „Orest“, die am 31. März an der Wiener Staatsoper zur Premiere kommt. Orests Mord an der Mutter, mit dem er, legitimiert von Gott Apoll, den Vater Agamemnon rächen wollte, wird in sechs Szenen und knappen 80 Minuten nicht der einzige bleiben. Zu weiteren Bluttaten will ihn seine fanatische Schwester Elektra treiben.
Naheliegend, da an eine Fortschreibung der „Elektra“ von Richard Strauss zu denken. Doch sein Orest sei nicht der aus dem Mythos, lässt Trojahn im Gespräch mit dem KURIER wissen. „Er ist eine abstrakte Figur, jemand, der Schuld auf sich geladen hat.“ Wer ist Trojahns Orest nun: Ein Auftragskiller aus der Antike oder eine Symbolfigur für jene, die sich von barbarischen Regimen wie dem Nationalsozialismus instrumentalisieren ließen? „Ich würde nie so weit gehen, das so zu konkretisieren. Natürlich umfasst das auch diesen Komplex, weil die Debatte um diese Dinge, sowohl in Deutschland als auch hier und in Frankreich, wo ich lebe, eine große Rolle spielt. Genau in dieser Zeit, als ich diese Oper geschrieben habe, ist sie wieder hochgekocht.“
Eine Frage der Schuld
Aber nur die Gegenwart abzubilden, greift für ihn zu kurz. Es geht ihm darum, eine aktuelle Problematik auf eine überzeitliche Weise zu behandeln. „Jeder, der überleben will, macht sich irgendwie schuldig an den anderen. Insofern hat der Stoff eine Aktualität.“
Für Trojahn, der auch als Regisseur gearbeitet hat und durch seine Ehe mit der Bühnenbildnerin Dietlind Konold den Musiktheaterbetrieb kennt, wäre ein Sandhaufen als Ambiente für seinen Orest genug. „Jetzt haben wir fast so etwas. Marco Arturo Marelli macht eine strenge, konzise Arbeit“, kommentiert er die Inszenierung an der Staatsoper, lobt Michael Boders Dirigat und den Klang des Staatsopernorchester. Einmischen würde er sich ins Bühnengeschehen aber nie. Regieideen müsse sein Stück aushalten, sagt er.
Aus der Not geboren
Das Libretto hat er aus einer traurigen Not heraus selbst geschrieben, denn jene Verfasser seiner Operntexte, mit denen er gerne und erfolgreich zusammengearbeitet hat, waren nicht mehr am Leben, als er 2010 die Arbeit an „Orest“ begann. Bei Strauss liege ihm der bestimmte musikalische Duktus sehr nahe, erklärt Trojahn. Dicht, klangmalerisch, eruptiv ist Trojahns Musik. Fast hätte der 69-Jährige ein Zeitgenosse von Strauss werden können. Was ihn möglicherweise mit Strauss verbinde, sei, dass er für Frauenstimmen besser schreiben könne, meint er. Ein Schalk, der hier von Staffelübergabe spricht.
Manfred Trojahn ist einer der gefragtesten Opernkomponisten der Gegenwart. Stoffe von Pirandello und Shakespeare hat er zu erfolgreichen Opern vertont. Er ist mit den Salzburger Osterfestspielen und dem Theater an der Wien im Gespräch. Und eine Oper mit dem Titel „Eurydice“ ist im Entstehen.
Eine Art von Skandal
Auf den Programmen von Festivals neuer Musik ist sein Name jedoch eine Rarität. Hat das damit zu tun, dass seine zweite Symphonie anno 1978 beim Festival für neue Musik in Donaueschingen für einen Skandal sorgte, weil er sie im „Geiste Mahlers“ schuf? „In der neuen Musik herrscht ein Selbstverständnis darüber, was erlaubt ist“ sagt er. Und: „Neue Musik spielt sich immer mehr in anderen Bereichen ab, in Festivals oder Spezialveranstaltungen, das ist nicht meine Welt.“
Warum aber wollen viele heute keine neuen Opern sehen? „Wir haben eine ziemlich lange Zeit hinter uns, in der sich neue Musik so sperrig verhalten hat, dass sie die Leute nicht wollten.“ Heute sei das Problem, dass das Publikum nicht mehr so neugierig ist wie früher. „Das hat möglicherweise auch mit einem Bildungsabfall oder mit der Veränderung der Gesellschaftsstruktur zu tun. Wenn der allgemeine Bildungsstandard sinkt, ist das auch für uns Komponisten merkbar.“
Früher sprach man von 50 Jahren, die ein Werk braucht, um gehört zu werden. Mittlerweile gäbe es 100 Jahre neue Musik oder noch länger und das Publikum ist ihr noch immer nicht gefolgt, meint er. - Susanne Zobl