Kultur

"Only God Forgives": Neuer Film vom "Drive"-Duo Gosling und Winding Refn

Ryan Gosling ist nicht nach Cannes gekommen. Nicolas Winding Refn musste alleine seinen neuesten Samurai-Streich „Only God Forgives“ an der Croisette präsentieren – um nicht zu sagen, verteidigen. Dabei erfreut sich der dänische „Drive“-Regisseur einer begeisterten Anhängerschaft, die sich aber am Ende der Presse-Vorstellung nicht ganz durchsetzen konnte. Laute Buhrufe waren nicht zu überhören. Vielen erschien die ultra-brutale Blutorgie als hohle Stilübung. Dröhnende (Orgel-)musik und wummernde Bässe untermalten Slow-Motion-Faustkämpfe und Samurai-Schwert-Schwingerei. Die Lautsprecher schepperten, was das Zeug hielt. Und nach dem flambierten Penis in Amat Escalantes „Heli“, gab es in „Only God Forgives“ sicher die zweiteinfallsreichsten Sadismus-Szenen des heurigen Festivals zu sehen. Zum Beispiel jene, wo der, der sich für Gott hält, seinem Opfer zuerst spitze Nadeln in Arme und Oberschenkel sticht, ihm dann mit einem Messer beide Augäpfel aushebelt („Du wolltest nicht sehen“) und zuletzt das Trommelfell durchbohrt („Du wolltest nicht hören.“).

Ein herrlicher Anblick, besonders am frühen Morgen

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Auf die Frage auf der Pressekonferenz, warum er so viel Gewalt inszeniere, ist Refn zuerst indigniert („Sie klingen wie meine Mutter“), dann ehrlich: „Ich gehe an meine Sache heran wie ein Pornograph: Ich frage mich selbst: Was macht mich an? Ich halte mich nicht für eine gewaltvolle Person, aber ich habe einen Fetisch für gewaltvolle Gefühle und gewaltvolle Bilder. Keine Ahnung, woher das kommt, aber für mich ist Kunst dazu da, das durchzuexerzieren.“
Aber Apropos Mutter: Kristin Scott Thomas, üblicherweise zumeist als Upperclass-Lady zu genießen, spielt die bizarrste Mutterrolle, die seit langem ihm Kino zu sehen war. Vom Look her irgendwie an eine amerikanische Version von Donatella Versace erinnernd, reist sie nach Bangkok. Dort ist gerade ihr älterer Sohn, Billy, ermordet worden. Ihr anderer Sohn, Julian (Ryan Gosling), der einen Boxclub leitet, soll seinen Tod rächen. Julian zögert, denn Billy wurde ermordet, weil er eine 16jährige brutal vergewaltigt und gekillt hat. Doch das ist Mama egal: „Er wird schon einen Grund gehabt haben.“

Überhaupt entspricht die gute Frau nicht unbedingt jenem Bild, dass man landläufig so von Müttern hat: Beim Abendessen mit Julian und seiner Begleitern etwa diskutiert sie ausführlich, welcher ihrer beider Söhne den größeren Penis hatte. („Julians ist groß. Aber im Vergleich zu Billys....“)

Albtaumhaftes Schattenreich

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Wie auch immer: Refns Bangkok ist ein albtraumartiges, in blaues und rotes Licht getauchtes Schattenreich. Die Menschen darin sind wie Traumwandler – allen voran jener thailändische Ex-Polizist, der sich für Gott hält und mit seinem Samuraischwert für Geschnetzeltes sorgt. Zuletzt schneidet er auch Kristin Scott Thomas die Kehle durch. Aber das reicht nicht: Sohn Julian geht auch noch hin, und wühlt seiner Toten Mutter in den Eingeweiden.

Vielleicht hätte sie das mit dem Penis doch nicht sagen sollen.

Doch nicht die Gewalt ist das Problem in „Only God Forgives“. Vielmehr bleibt Refns Versuch der metaphysischen Überhöhung in der Pose stecken. Die schweigsamen Männer, ihre bedeutungsvollen Blickduelle, ihre Gewaltexzesse in Zeitlupe – und das alles zu einem Soundgedröhne zwischen Thai-Pop und Wagner: Das alles wirkt manchmal zwar effektvoll, oft aber auch in seiner Forciertheit geradezu albern.

Damit geht Cannes mit einer Enttäuschung Richtung Finale. Der Wettbewerb bislang bot zwar immer wieder durchwegs gutes und interessantes Kino. Gerade die Coens mit „Inside Llewyn Davis“ lieferten einen herausragend guten Film ab, mit dem sie auch die Favoriten-Liste aller Kritiker anführen. Doch die Coens sind Veteranen.

Das Gefühl, etwas Tolles, Neues, Außergewöhnliches in Cannes entdeckt zu habe, hatte man bislang noch nicht – zumindest nicht im Wettbewerb.

Übersicht: Die Wettbewerbsfilme in Cannes