NS-Opfer-Gedenken und FPÖ: Schonungslose ORF-Debatte
Von Peter Temel
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*
Am Freitag ist etwas Besonderes passiert: Bei der Gedenkveranstaltung des Parlaments gegen Gewalt und Rassismus für die Opfer des Nationalsozialismus erfrechte sich ein Festredner, sich nicht auf die üblichen Versöhnungsgesten zu beschränken, sich nicht auf ein unverbindliches „Niemals vergessen“ zurückzuziehen. Schriftsteller Michael Köhlmeier hielt den anwesenden FPÖ-Regierungspolitikern schonungslos einen Spiegel vor. Er zitierte einen "Einzelfall" nach dem anderen, während die Fernsehkameras gnadenlos in das Gesicht von Parteichef Strache oder jenes von Klubobmann Gudenus zoomten. Bei der Neo-Regierungspartei FPÖ sorgte das für beträchtliche Empörung, auch der Regierungspartner ÖVP war von einzelnen Passagen nicht besonders angetan.
Am Sonntagabend stellte die ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ die Frage: „Mauthausen-Gedenkfeier ohne FPÖ – Abgrenzung oder Versöhnung?“ Hätte man nur diese Fragestellung abhandeln wollen, hätte man die Diskussion nach wenigen Minuten bereits beenden können. Denn FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz äußerte gleich in seinem ersten Redebeitrag „sehr viel Verständnis“ für die Entscheidung der Überlebenden. Wäre er in ihrer Situation, wüsste er nicht, wie er damit umgehen würde. Er könnte nicht sagen, ob er die Größe eines Arik Brauer hätte, der für einen Dialog eingetreten sei. Mit der Eingemeindung des Künstlers Brauer übte Rosenkranz zwar indirekt und fast unbemerkt Kritik, gab sich aber im Großen und Ganzen verständnisvoll.
Es gab sehr viel zwischen den Zeilen zu lesen an diesem Abend.
Köhlmeier stand im Zentrum
Bei "Im Zentrum" ging es zum Glück längst nicht nur um eine Ausgrenzung, die Historikerin Heidemarie Uhl als „Selbstausgrenzung der FPÖ“ beschrieb. Da konnte Staatssekretärin Karoline Edtstadler ( ÖVP) noch so oft in eingelernt wirkender Regierungsdiktion wortreich betonen, es gehe im Gedenkjahr um die Opfer, und darum, dass sich beide Seiten die Hände reichen sollen. Welche beiden Seiten damit konkret gemeint sind, beantwortete Edtstadler ohnehin nicht.
Die von angestoßene Diskussion war das eigentliche Thema. Oder um es mit Uhl zu sagen: "Wozu gedenken wir eigentlich?" Es gehe darum, "so zu gedenken, dass wir den Opfern in die Augen schauen können", fasste sie Köhlmeiers Rede zusammen.
Die Rolle Köhlmeiers übernahm an diesem Abend Schriftstellerkollege Doron Rabinovici. Immer wieder konfrontierte er Rosenkranz und Andreas Mölzer in ruhigem Ton mit Beispielen, die zeigen sollten, dass die Beteuerungen der FPÖ, dem Antisemitismus abzuschwören, nicht glaubwürdig seien. „Es geht darum, dass man es nicht tut“, sagte Rabinovici, um es auf eine einfache Formel herunter zu brechen.
Advokat der FPÖ
Rosenkranz, der, ganz Strafverteidiger, über weite Strecken einen blauen Aktenordner unter dem Arm parat hielt, agierte wie der Advokat der FPÖ. Mit ernstem Blick beteuerte er zum Beispiel, dass die FPÖ nichts mehr mit dem rechtsextremen Blatt Aula zu tun haben wolle.
Als Willi Mernyi einwarf, dass die FPÖ sich bisher noch nie beim Mauthausen Komitee Österreich gemeldet habe, sagte Rosenkranz: „Sie kriegen von mir morgen einen Brief, wenn Sie auf das gewartet haben.“
Ein Brief, und das auch noch von einem gelernten Anwalt formuliert, wäre wohl die distanzierteste Form, miteinander in Kontakt zu treten.
Es gab viel zwischen den Zeilen zu lesen an diesem Abend.
"Kein weiteres Problem" für Köhlmeier
An Köhlmeiers Rede lobte Rosenkranz Technik, Aufbau, Rhetorik. Und inhaltlich? Es sei „eine kritische Rede am falschen Platz“ gewesen. Aber: „Es wird kein weiteres Problem daraus gemacht werden.“
Welches Problem hätte denn daraus gemacht werden können, möchte man fragen. Es sind „Sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“-Momente wie diese, die das Unbehagen mit der FPÖ immer wieder befeuern.
Ringen um Zurückhaltung
Obwohl das Thema emotional aufgeladen war, blieb die Diskussion fernab von politischem Hickhack und verbalem Hindreschen.
Das klare Aussprechen von Ungeheuerlichkeiten ist für die FPÖ seit ihrer Regierungsbeteiligung wesentlich schwieriger geworden. Stärker als bei Rosenkranz war es Andreas Mölzer anzusehen, wie schwer man sich dabei tut. Der ehemalige EU-Abgeordnete und Parteiideologe rang sichtlich um Zurückhaltung, als er von Rabinovici und auch von Diskussionsleiterin Claudia Reiterer mit vergangenen Aussprüchen wie dem über die EU als „Negerkonglomerat“ konfrontiert wurde. Ein "Scherbengericht statt einer Diskussion" witterte Mölzer da, Reiterer sei "nur halb informiert" und schließlich fiel sogar das Wort "Tugendterror".
Zu Beginn gelang es Mölzer noch, bloß in verklausulierter Form Verachtung zu äußern. Es ging um eine Antwort an Rabinovici. Dieser sagte, es sei geradezu seine familiäre Pflicht, sich genau auszusuchen, mit wem er um seine in Litauen von den Nazis ermordeten Familienmitglieder trauere. Dies könnte weder ein Gudenus, ein Mölzer noch ein Strache sein.
Mölzer sagte, er würde zum Gedenken an seine eigenen Eltern auch nicht daran denken, Rabinovici einzuladen. Das ist geschenkt.
Taktische Manöver?
Mölzer ist Leiter der FPÖ-internen "Referenzgruppe" für die Historikerkommission. Dass er kürzlich er die Kommission als "taktisches Manöver" bezeichnete, um nach der Liederbuch-Affäre um Udo Landbauer wieder aus den Schlagzeilen zu kommen, sorgte für Irritation. Historikerin Uhl äußerte die Befürchtung, dass auch das Gedenken an die Opfer bloß als solches "taktisches Manöver" der FPÖ gewertet werden könnte, wenn es zu keiner echten Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus innerhalb der Gesinnungsgemeinschaft komme.
Dass gerade ein Mölzer, der seit Jahrzehnten vorzeigt, wie man mit Ungeheuerlichkeiten gerade noch durchkommt, die Aufarbeitung der Parteigeschichte mitsteuern soll, offenbart das Problem der FPÖ. Das hat dieses „Im Zentrum“ in einer im besten Sinn schonungslosen Diskussion gezeigt.
LINK: Die Diskussion bei "Im Zentrum" zum Nachsehen in der ORF-TV-Thek