Kultur

"No Turning Back": Am Telefon mit Tom Hardy

Ein Mann steigt in sein Auto, startet an und fährt los. Es dauert einige Minuten, bis wir sein Gesicht zu sehen bekommen. Und ab dann sehen wir fast nur noch sein Gesicht. Nichts außer seinem Gesicht, sein Auto und eine nächtliche Autobahn.

Es ist Tom Hardy, dessen Mienenspiel einen ganzen Film durchträgt. Tom Hardy, der seine muskulöse Karriere in Kriegsfilmen begann, der Kampfsportler ("Warrior") spielte und Bösewichter ("Star Trek Nemesis", "The Dark Knight Rises"); und der demnächst das Erbe von Mel Gibson für eine Fortsetzung von "Mad Max" antritt.

In der Rolle des Ivan Locke packt der Brite eine andere Seite seiner ansonsten actiongeladenen Schauspielkunst aus. In einem reduzierten Kammerspiel, das sich ausschließlich in einem Auto abspielt und doch eine ganze Welt zusammenbrechen lässt.

Locke – so auch der Titel des Originals – sitzt hinter dem Lenkrad seines teuren BMW SUV und verlässt seine Heimatstadt Birmingham Richtung London. Er ist allein, jedoch verbunden mit der Außenwelt durch seine Freisprechanlage. Und dann geht die Telefoniererei los.

Zuerst mit dem Arbeitskollegen, dem Locke mitteilt, dass er die Großbaustelle, die er betreut, verlässt. Dann mit einer Frau, die gerade dabei ist, ein Kind von ihm zu gebären. Locke ist auf dem Weg zu ihr, um ihr beizustehen, obwohl sie – ein One-Night-Stand – ihm nichts bedeutet. Und schließlich die Telefonate mit seiner Ehefrau, die von den fatalen Umständen am Telefon erfährt.

Ausflippen

All diese Stimmen füllen abwechselnd das Auto, und es ist kaum eine dabei, die nicht ausflippt. Einzig Locke versucht, seinem Selbstbild als solidem Mann gerecht zu werden: In betont ruhigem Tonfall bemüht er sich um Krisenmanagement und bemerkt nicht, dass gerade seine große Umsicht den Einsturz beschleunigt.

Steven Knight, profilierter Drehbuchautor von Meisterwerken wie David Cronenbergs "Tödliche Versprechen", verfilmte sein eigenes Script. Und genau dort liegen auch kleine Schwächen. Knights Figuren neigen zur Übersteuerung: So lässt er Locke Hasstiraden gegen seinen toten Vater fluchen, den er sich auf dem Hintersitz als Mitfahrer vorstellt. Die gesamte Handlung wird getrieben von diesem (nicht sehr originellen) ödipalen Konflikt, der noch dazu überdeutlich ausbuchstabiert wird.

Die Kamera macht jedoch viel von dem wett, was an Worten zu viel verloren wird. Nachtschwarze Bilder, durchtränkt von zerronnenen, roten Rücklichtern und dem fahlen Gelb von Straßenlaternen: Sie werden stumme, mitleidlose Zeugen davon, wie das Fundament eines Lebens zerbröselt.

Und Tom Hardy? Tom Hardy implodiert hinter seinem Steuer. Sein Gesicht bleibt beinahe unbeweglich. Und trotzdem eröffnet sich dahinter der ganze Abgrund seiner verlorenen Welt.

Info: "No Turning Back". UK/USA 2013. 85 Min. Von Steven Knight. Mit Tom Hardy.

KURIER-Wertung:

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Wie lässt sich die Erfahrung von Menschen erzählen, die nicht sehen können? Noch dazu in einem Medium wie dem Kino, das in erster Linie auf Sehen beruht?

Auf der Lust am Sehen?

Der polnische Regisseur Andrzej Jakimowski („Tricks“) stellte sich dieser Herausforderung. Er erzählt von einem blinden Briten namens Ian, der in einem Blindeninstitut in Lissabon das Leben der Patienten aufmischt. Ian verweigert den Blindenstock. Stattdessen setzt er auf die Fähigkeit des Hörens. Wie eine Fledermaus bewegt er sich im Raum, sendet mit Zungenschnalzen und Fingerschnippen Sound-Signale aus, die ihm helfen, Hindernisse im Raum wahrzunehmen.

Zarte Romanze

Auch Jakimowski bemüht sich, uns, die Zuseher, als Zuhörer zu sensibilisieren. So wie Ians Schüler werden wir dazu angehalten, die Umwelt über Töne wahrzunehmen und vorstellbar zu machen. Das gelingt manchmal besser, manchmal schlechter.

Jakimowski bleibt unentschlossen, ob er nun eine Geschichte über Ian und seine jungen Schüler erzählen will; oder doch lieber eine zarte Romanze zwischen Ian und einer blinden Deutschen (Alexandra Maria Lara). Auch die heiter-pointierte Begleitmusik verwischt die Stimmung ins Unentschlossene. Der Regisseur reiht seine Figuren wie auf einer Bühne auf und lässt sie dann einzeln oder zu zweit hervortreten. Richtig durch formuliert jedoch ist keine von ihnen.

Dafür verdichtet er einzelne Szenen immer wieder zu intensiven Eindrücken: Einmal stürzt Ian mit einen seiner Schüler beinahe in den Atlantik. Wir sehen die Gefahr kommen und müssen ihr ins Auge blicken. Die Männer aber ertasten sie mit den Händen. Eine Differenz, deren Spannung fast schmerzhaft spürbar wird.

Info: "Imagine". Drama. PL/F2012. 104 Min. Von Andrzej Jakimowski. Mit Edward Hogg, Alexandra Maria Lara.

KURIER-Wertung:

Meistens funktioniert es umgekehrt: Ein Film läuft zuerst im Kino und landet irgendwann im Fernsehen. Nicht so Markus Imbodens manikürte Romanverfilmung „Am Hang“. Diese lief bereits vergangenen Freitag auf ARTE und kann nun im Kino nachgeholt werden kann. Muss aber nicht.

Zwei Männer duellieren sich zum Thema Sex, Liebe, Ehe und Treue. Henry Hübchen spielt einen verzweifelten Musiker, der seiner verlorenen Ehefrau nachtrauert und einem Zufallsbekannten davon erzählt. Der Zufallsbekannte – adrett gespielt von Maximilian Simonischek, Sohn von Peter Simonischek – ist von Beruf schnöseliger Junganwalt und überzeugter Schürzenjäger. Wortreich verteidigt er die Vorteile seines unverbindlichen Sexlebens. Rein zufällig erzählt er dabei seinem neuen Freund von einer Ex-Affäre – und es dauert nicht lange, bis Zuseher und Henry Hübchen kapiert haben, dass es sich bei dieser Affäre um Hübchens untreue Ehefrau handelt.

Der Schweizer Regisseur Markus Imboden bemüht sich um ein konzentriertes Kammerspiel mit schneidigen Wortgefechten und amouröser Thriller-Spannung. Nachdem aber die Pointe der Geschichte – dass beide Männer von derselben Frau sprechen – bald enthüllt ist, bleiben in erster Linie zähe Dialoge übrig. Und lange Rückblenden.

Auch eine elegische Martina Gedeck als versponnen-schweigsame Ehefrau und Geliebte der Männer versteinert das Drama mehr, als dass sie es dynamisieren würde. Am meisten besticht Henry Hübchen durch seine rabiate Verzweiflung. Doch zuletzt glätten sich alle Wogen im wohltemperierten Wellness-Hotel-Drama.

Info: "Am Hang". Drama. D/CH/I 2013. Von Markus Imboden. Mit Henry Hübchen, Martina Gedeck, Max Simonischek.

KURIER-Wertung: