Nick Caves "Ghosteen": Vertonte Gebete voll Leid und Hoffnung
„Ghosteen“ hat Nick Cave dieses Doppel-Album genannt. Dazu sagt er: „Ghosteen ist ein umherziehender Geist, die Songs des ersten Teiles sind die Kinder, die des zweiten sind die Eltern“.
Weitere Erklärungen wird er nicht geben. Es braucht sie nicht. 2015 fiel Caves fünfzehnjähriger Sohn Arthur von einer Klippe in der Nähe von Brighton, wo Cave mit seiner Frau Suzie wohnt. Dass „Ghosteen“ ihm gewidmet ist, muss nicht gesagt werden.
Zwar ist schon das vorige Album „Skelton Tree“ von 2016 nach Arthurs Tod erschienen. Doch die Mehrzahl der Songs war schon vorher fertig. Außerdem erzählte Cave 2017, dass er gleich nach dem Unfall in einer Art Schock-Starre war, die Ereignisse so schwer auf ihm lasteten, dass „kein Raum für Kreativität“ blieb.
So ist erst „Ghosteen“ das Album, bei dem Cave wirklich tief in das Trauma eintaucht und es damit vom ersten bis zum letzten Ton faszinierend macht.
Musikalisch schließt es direkt an den Vorgänger an. Es beginnt mit schwebenden Synthesizerklängen, wie in Ambient-Alben der 90er-Jahre. Dazu erzählt Cave eine Story über sein Idol Elvis Presley, bei der Realität und Fabel nahtlos in einander übergehen und sich das Ganze nach wiederholtem „I love you“ in einer sakralen und ohne jeden Kitsch verführerisch lieblichen Melodie und dem Mantra „Frieden wird kommen“ auflöst.
Das ist die Atmosphäre, die das ganze Album definiert. Cave schrieb für „Ghosteen“ Songs, die wie Gebete anmuten, die wie diese von Leid, Schmerz und Sehnsucht getrieben und doch von Hoffnung und Vertrauen durchdrungen sind.
Es gibt schon auch dämonische Untertöne. Etwa wenn eine geisterhafte Stimme „Galleon Ship“ eröffnet und unterlegt, oder Cave in „Leviathan“ reminisziert, wie er mit seiner Frau zum Meer fuhr und stundenlang im Auto saß, um „es wieder und wieder zu besprechen“.
Zumeist kommen die Songs mit Klavier, Synthesizern und Caves Stimme aus, machen gerade durch diesen Minimalismus durchdringend bis ins Mark seine Verzweiflung und die Suche und das Finden von Halt in spirituellen Welten spürbar. Nur wer kein Herz hat, kämpft nicht mit den Tränen, wenn der 62-Jährige gegen Ende in „Ghosteen Speaks“ singt: „Ich bin an deiner Seite, suche mich!“