Neues von der Nobelpreisträgerin
Zur offiziellen Überreichung des Literaturnobelpreises an Alice Munro am 10. Dezember soll auch das neue Buch der kanadischen Autorin, "Liebes Leben", auf dem deutschsprachigen Markt erscheinen. Das sagte eine Sprecherin des S. Fischer Verlags am Freitag in Frankfurt.
Die Übersetzung von „Dear Life“ sollte ursprünglich erst am 27. März 2014 herauskommen. Der Termin sei nun aber vorgezogen worden.
Verkaufsboom
Nach Verlagsangaben werden die Werke der Autorin bei S. Fischer gerade in einer Auflage von insgesamt rund 100.000 Exemplaren nachgedruckt.
Vor vier Jahren hat ihr der Verleger in Kanada eingeredet, sie habe große Chancen auf den Literaturnobelpreis; und freilich saß sie damals am Tag der Wahl vor dem Telefon, falls jemand aus Stockholm anruft.
Alice Munro wusste: Falls sie gewinnt, wird sie eine halbe Stunde sehr, sehr glücklich sein.
Und danach? Würde sie daran denken, welche Qual bevorstehe.
Heuer hat sie angeblich nicht gehofft und gewartet. Ihre Tochter hatte sie telefonisch informiert: „Mama, du hast gewonnen!“
Die 82-Jährige ist Literatur-Nobelpreisträgerin 2013; und das machte den Donnerstag zu einem Freudentag.
Nicht nur, weil die Schwedische Akademie endlich die Ignoranz gegenüber nordamerikanischen Schriftstellern abgelegt hat.
Sondern, weil es ausgerechnet Alice Munro trifft, deren Bücher mitunter den idiotischen Stempel tragen, sie seien „Frauenliteratur“.
Allen gehen ihre Geschichten unter die Haut! Es ist völlig egal, dass meist Frauen die Hauptrolle spielen, Mütter und Töchter, Ehefrauen und Großmütter!
Immer sind es Kurzgeschichten bzw. kurze Romane. Als Hausfrau und Mutter hatte sie zum Schreiben wenig Zeit. Hielten die Kinder ihren Mittagsschlaf, so pendelte Alice Munro in den 1960er-, 1970er-Jahren zwischen Küche und ihrem kleinem Schreibtisch. Bei der kurzen Form ist sie geblieben.
Und es reicht völlig, wenn ihre „Heldinnen“ auf nur 30 Seiten Friedhöfe besuchen oder Kakao trinken oder Gemüse putzen.
Denn es sind immer die Zwischenräume. Es sind die ausgelassenen Passagen in den Texten, die etwas Explosives haben – in denen man Sehnsüchte spürt, in denen Menschen versuchen, den Alltag auszuhalten.
Zweifeln
Geboren wurde Alice Munro als Tochter eines nicht sonderlich erfolgreichen Fellzüchters 1931 im südwestlichen Ontario. In der Nähe ihres Geburtshauses, am Lake Huron, lebt sie noch heute.
Dass sie keine ist, die sich aufdrängt – Interviews gibt sie äußerst selten –, führt Alice Munro auf ihre Verwandtschaft mit schottischen Calvinisten zurück. Da lernt man, am Glück und am Lob Zweifel zu haben.
Ihr erster Erzählband, „The Dimensions of a Shadow“, erschien schon 1950 und wurde beachtet. Damals studierte sie noch Journalismus, brach aber aus Geldmangel ab und heiratete. Die Ehe ging nach zwei Jahrzehnten und der Geburt von vier Kindern zu Ende. Die Kanadierin brach aus der traditionellen Rolle aus – auch diesen Weg in die Freiheit findet man in ihren Büchern immer wieder.
Ihr zweiter Ehemann, ein Geograf, starb heuer im Frühjahr.
"Hurra!"-Ruf
Auf Deutsch liegen zwölf Bände ihrer Kurzgeschichten vor. Der große S. Fischer Verlag freut sich jetzt mit der Nobelpreisträgerin gewaltig – und der kleine Dörlemann Verlag.
Ihre kanadische Freundin Margaret Atwood – ebenfalls seit Jahren für die Auszeichnung im Gespräch – reagierte Donnerstag mit einem „Hurra!“-Ruf.
Man hat Munro oft mit Tschechow verglichen. Dagegen hat sie bescheiden protestiert: Tschechows Glanz sei höchstens von Shakespeare erreicht worden.
Es ist fast ein bisschen gemein, dass sie erst heuer geehrt wird. Denn möglicherweise wird es kein neues Buch mehr von ihr geben: Im Juni hatte sie einer kanadischen Zeitung gegenüber angedeutet, mit dem Schreiben aufzuhören.
„Ich bin über meinen Entschluss hocherfreut. Es ist nicht so, dass ich das Schreiben nicht geliebt habe, aber man kommt in eine Phase, wo man über sein Leben irgendwie anders denkt.“
So schade das wäre: Man kann davon ausgehen, dass nicht alle Leute, die gern lesen, bisher alles von Alice Munro gelesen haben. Es gibt so viel von ihr.
Und außerdem gibt es Alice Munros wunderbaren Satz, dem man jederzeit folgen kann:
„Sex ist die Möglichkeit, der Vergänglichkeit zu entkommen.“