Neues Orchester in Wien: Musiker spielen unentgeltlich
Von Susanne Zobl
Die Kontrabässe ertönen, zart setzen die Streicher ein, ein schwebender Klang erfüllt den Saal. Schuberts „Unvollendete“ ertönt. Schließt man die Augen, wähnt man sich gar im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins. Doch nein, man ist nicht im Musikverein. Im schwach beheizten Festsaal des Christian-Broda-Bildungsheims der SPÖ haben sich an einem kalten Vormittag 29 Musiker aus Wiens großen Orchestern zusammengefunden, um gemeinsam zu musizieren, um eine CD einzuspielen.
Am Pult steht der gebürtige Pariser Rémy Ballot, ein Dirigent, der seiner Entdeckung von den ganz großen Orchestern noch harrt. Zu Unrecht, wie man bald hören wird. Was bringt nun zehn viel beschäftigte Wiener Philharmoniker, fünf Symphoniker und Musiker aus anderen professionellen Orchestern dazu, einen ihrer wenigen freien Tage in Penzing mit Schubert zu verbringen? Idealismus? In der Tat.
Unentgeltlich
Der KURIER konnte sich beim Take-off des neuen Wiener Orchesters namens KlangKollektiv davon überzeugen. Denn hier sind nur Enthusiasten am Werk. „Es macht Freude hier zu spielen, denn man kann hier noch mehr seine Ideen einbringen als im Orchesteralltag“, sagt die philharmonische Flötistin Karin Bonelli. Abgesehen davon, dass man am ständig marodierenden Klassikmarkt ohnehin nicht hoffen kann, das große Geld zu verdienen, spielt jede und jeder einzelne ganz unentgeltlich.
Denn man hat ein gemeinsames Ziel: „Die Schönheit und die Perfektion dieser Musik wieder hörbar zu machen“, formuliert es der philharmonische Klarinettist Norbert Täubl. Denn diese Musik sei die Wurzel des modernen Orchesters, erklärt er. Damit meint er freilich die Wiener Klassik. Täubl weiß genau, wovon er spricht: „Wir leben ständig mit dieser Musik und mit ihren Folgen. Deshalb wollen wir ihr wieder diesen Stellenwert geben, der ihr zusteht“, sagt er.
Die Musik von Haydn, Mozart und Schubert werde heute oft stiefmütterlich behandelt. Deren Kompositionen geben zuweilen nur den Auftakt für ein symphonisches Konzert. „Das große, zentrale Werk folgt dann nach der Pause“, führt Täubl aus. Damit wollte er sich nicht länger abfinden und fasste mit philharmonischen Kollegen einen Entschluss: Die Bedeutung dieser Musik wieder ins Zentrum zu rücken.
Gleichgesinnt
In Wiener Orchestern fahndete er nach Kollegen, die so dachten wie er. Seine Unternehmung zeigte rasch Erfolg: 29 Gleichgesinnte, darunter 12 Wiener Philharmoniker, zwei davon bereits im Ruhestand, fünf Wiener Symphoniker, Musiker des RSO, der Tonkünstler, der Volksoper und des Bühnenorchesters der Wiener Staatsoper folgten seinem Ruf. Das KlangKollektiv war geboren.
Im österreichischen Label Gramola fand man umgehend einen idealen Partner. Zehn CDs sind in Planung. Franz Schuberts „Unvollendete“, die Symphonie in h-Moll, und dessen Erste wurden nicht nur auf CD eingespielt. Auch eine Aufnahme auf Vinyl wird es geben. Auch visuell wurden die ersten Schritte des Kammerorchesters dokumentiert.
Weitere CDs unter Remy Ballot sind in Planung. „Wir wollen keine Revolution machen, sondern zeigen, dass uns Schubert etwas unfassbar Wertvolles zu sagen hat“, erklärt Ballot. Davon wird man sich live am 24. Oktober im Wiener Konzerthaus überzeugen können.