Das Archiv als Wunderkammer
Von Thomas Trenkler
Fast scheint es so, als würde die Nationalbibliothek der Aura des Originals misstrauen: Im Literaturmuseum, das heute, Samstag, feierlich eröffnet wird, gehen die Handschriften und Manuskripte regelrecht unter Angesicht der Fülle an Materialien, die von Bernhard Fetz, dem Direktor, und seinem Team zusammengetragen wurden.
Der Ansatz war, der herkömmlichen Präsentation von Literatur – jede Menge unleserliche Briefe, ergänzt mit einer Brille des Autors – etwas Überraschendes entgegenzustellen. Das Literaturmuseum arbeitet daher multimedial wie auch vielschichtig mit Reizüberflutung und Häppchentaktik.
Diese wurden nun, in Zusammenarbeit mit BWM Architekten und Planet Architects, neu befüllt: nicht nur auf Augenhöhe, sondern auf allen Ebenen; nicht nur mit Büchern und Manuskripten in eingepassten Schaukästen, sondern auch mit Fotos, Neon-Schriftzügen, Installationen, Texttafeln, Mitmachobjekten, Monitoren, LED-Laufschriften, Touchscreens und so weiter. Selbst die Decke dient als Projektionsfläche für Videos.
Trockener Humor
Mit dem späten 18. Jahrhundert hält man sich nicht lange auf: Schon betritt Nestroy die Bühne, schon geht es um Zensur. Fetz erklärt mit viel Liebe zum Detail, er schafft Verbindungen zur Gegenwart. Und er hat einen trockenen Humor. Auf einer der Regalleitern zum Beispiel fällt ein Textkaskade herab: Grillparzer erzählt, wie er gestern beim Herausnehmen eines Aktes von der obersten Sprosse fiel und sich dabei Hautabschürfungen zuzog.
Fetz kontrastiert eine "Jedermann"-Installation samt Regiebuch von Max Reinhardt mit einer geharnischten Kritik von Karl Kraus an dem Stück "des Herrn Hofmannsthal". Er kontrastiert Fotos der Burgtheater-Wiedereröffnung 1955 mit jenen der Uraufführung von Thomas Bernhards "Heldenplatz" 1988 und so weiter.
Alle wichtigen Namen tauchen auf, es gibt 34 Hör- und 22 Videostationen mit insgesamt sieben Stunden Material. Man hat echt viel zu tun. Aber man kann auch mit einem Tablet durch die Wunderkammer rennen. Dann dauert der Besuch zwar nur 90 Minuten, man kriegt jedoch nichts von den Feinheiten mit. Einziger Schönheitsfehler sind Faksimiles in Schaukästen, die noch nicht als solche ausgewiesen sind.
INFO: Das Grillparzerhaus
Biedermeier
Für das Hofkammerarchiv, 1578 erstmals genannt, wurde ab 1843 in der Johannesgasse ein Gebäude errichtet. Direktor war von 1832 bis 1856 Franz Grillparzer. Sein Arbeitszimmer überdauerte die Zeiten. 2006 wurden die Bestände des Archivs ins Staatsarchiv übergeführt. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude wurde um 2,8 Millionen Euro saniert – und um weitere 2,6 Millionen Euro als Literaturmuseum eingerichtet.