Kultur

Neil Young: Liebe ist kein Kindergeburtstag - Aufstehen und Welt retten!

Gut 20 Minuten ist das Konzert alt, und Neil Young hat erst zwei Songs gespielt. Es begann mit den drängenden Akkorden von "Love And Only Love" und einem dreiminütigen Gitarrensolo. Neil Young lässt "Old Black" (seine berühmte schwarze Les Paul, Baujahr 1953) heulen und brüllen, er wirft die Töne in den Wind und hört zu, wie der Sturm sie zerfetzt.

Bei den meisten seiner elektrischen Songs arbeitet Neil Young wie ein Bildhauer, der die im Stein gefangene Figur mit dem Meißel freilegt – er hackt die Melodien aus dem Lärm heraus: "Vor langer Zeit in einem alten Buch, vor dem Kapitel, als sich die Träume enthüllten, tobte eine Schlacht auf der offenen Seite." Und nur die Liebe konnte den Hass zerschlagen. Liebe ist kein Kindergeburtstag – "love and only love can break it down"!

Und er schickt gleich "Going Home" hinterher, den übersehenen Klassiker vom viel geschmähten Album "Are You Passionate?" aus dem Jahr 2002. Dieses Lied ist typisch für Youngs Stil als Erzähler: Zu zerrissenen Moll-Akkorden beschwört er ein Bild aus der amerikanischen Mythologie (in diesem Fall das von "Custer’s Last Stand", der Niederlage der 7. Kavallerie gegen Lakota und Cheyenne unter der Führung von, genau, Crazy Horse). Und wie auch z. B. in "Pocahontas" oder "Cortez The Killer" blendet er dann ansatzlos in die Gegenwart, zu den geisterhaften Figuren des modernen Amerika, den Verlierern und Geschlagenen.

Neil Youngs Konzert ist meisterhaft aufgebaut, fast wie ein Theaterstück: Hier geht es um nicht weniger als um die Rettung der Welt: "Who’s Gonna Stand Up And Save The Earth" heißt das letzte Lied, und die Band brüllt die Antwort ins Publikum: "You! You! You!" Die Zuhörer wirken zwar anfangs ein wenig zögerlich – Was? Ich soll die Erde retten? Ist das nicht ziemlich anstrengend? Außerdem wollte ich morgen zum Heurigen gehen? – singen aber dann doch brav mit, sind somit als Weltretter vereidigt und müssen daher mindestens ein Mal pro Woche Fair-Trade-Bier trinken.

Im Ernst: Neil Youngs Dialektik – hier Krieg und Öl-Industrie, dort Liebe zur Gitarrenbegleitung – mag naiv wirken, aber sie ist bezwingend sympathisch. Es ist erfreulich, dass es noch Menschen gibt, die die Welt verändern wollen. Zumal Young nicht nur singt, sondern auch konkret etwas tut – er engagiert sich etwa für die Entwicklung umweltfreundlicher Automobiltechnik.

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Verletzlich

Zum Musikalischen: Früher klang er wuchtiger, zorniger, auch präziser. Es ist wohl seinem Alter (68) geschuldet, dass sein Sound jetzt auch etwas berührend Verletzliches bekommen hat. Zudem ist es bemerkenswert, wie der Austausch eines Musikers den Klang einer Band verändert: Der Phlegmatiker Rick Rosas ersetzt den rekonvaleszenten Wüterich Billy Talbot am Bass – und prompt klingen Crazy Horse friedlicher. Ein Effekt, der durch zwei Backgroundsängerinnen, die glockenhelle Harmonien beisteuern, noch verstärkt wird.

Und trotzdem toben sie in "Rocking In The Free World", dieser vor Sarkasmus triefenden Abrechnung mit dem modernen Amerika, wie eine wütende Punkband. Das Bild von der süchtigen Mutter, die ihr Baby in den Mistkübel wirft, zählt zu Youngs packendsten. Wenn dann der gewaltige, böse Refrain abhebt, bleibt kein Arm Gänsehaut-frei: "Keep on rocking in the free world!"

Peace.

KURIER-Wertung: