Nagib Machfus: Ohne Beziehung nichts wert
Von Peter Pisa
Waren das geile Zeiten ohne youporn.com: Da steht ein junger Ägypter in Gizeh in einer Ausgrabungsstätte und schaut sich Wandzeichnungen, Tausende Jahre alt, an.
Nackte Menschen.
Das Herz pocht, das Blut pulsiert - er gerät in einen Liebesrausch und stürzt sich auf seine Begleiterin.
... aber sonst ist Nagib Machfus' "Das junge Kairo" , erstmals 1945 in Ägypten erschienen, durchaus nachvollziehbar, mitunter sogar durchaus aktuell:
Ohne Beziehungen ist man weniger wert als das Einwickelpapier beim Fleischhauer. Was tun? Man prostituiert sich.
Wobei "man" unfair ist. Es verkauft sich nur einer jener vier Studenten, die von Machfus (1911-2006) begleitet werden. Machgub, der Ärmste und Hässlichste unter ihnen. Seine Freunde finden ihren Weg im Islam, im Sozialismus oder im Journalismus.
Machgub aber hat einen Vater, der einen Schlaganfall erleidet und seinen Sohn nicht mehr finanziell unterstützen kann. Im Gegenteil, er bittet, für ihn und Mutter zu sorgen ...
Machgub ist Zyniker. Gut und Böse sind keine Kriterien für ihn. Sondern Genuss und Schmerz, Nutzen und Schaden. Er glaubt an nichts. Ein Unsympathler, den man ein bissl verstehen kann.
Schnell und hungrig beendet er sein Studium - und jetzt?
Er hat keinen Anschieber.
Die Heirat und die Obrigkeit
Diese "Täter = Opfer"-Geschichte spielt Anfang der 1930er-Jahre. Ägypten war Königreich, die Briten hatten noch das Sagen. "Die Gesellschaft, in der wir leben, verleitet zum Verbrechen, aber sie schützt auch die mächtigen Verbrecher und macht die schwachen fertig", steht gegen Ende zu lesen.
Zum 100. Geburtstag des Nobelpreisträgers ließ der Schweizer Unionsverlag den Roman erstmals ins Deutsche übertragen.
"Das junge Kairo" war der Durchbruch des realistischen Schriftstellers (der sich dann dadurch unter Islamisten viele Feinde machte). Vorher hatte sich Nagib Machfus mit der Pharaonen-Zeit beschäftigt.
Sein Student Machgub geht für Geld und Ansehen einen Handel ein: Er heiratet die Geliebte eines verheirateten Politikers, damit dieser die junge Frau gefahrlos jeden Freitag besuchen kann. Die Tochter eines ebenfalls armen Tabakhändlers hatte schönere Vorstellungen von Liebe gehabt, arrangiert sich aber bestens.
Machgub bekommt als Dank einen Posten als Regierungsbeamter und vergisst auf seine hungernden Eltern ("Warum lebten sie überhaupt noch?").
Blumig war die Prosa schon damals nicht. Nicht einmal in den direkten Reden. Wenn die Studenten diskutieren, kann Machfus seine Kritik anbringen. Zum Beispiel:
"Jedes Regierungssystem verwandelt sich in Ägypten in eine Diktatur."
Oder: "Das ist ein Land, wo man sich gern von der Obrigkeit treten lässt. "
Oder: "Ägypten wird niemals seine Unabhängigkeit erlangen."
Schauen wir einmal.