Kultur

"Mustang": Leben in der Hausfrauenfabrik

Die Hochzeitsnacht des frisch vermählten Brautpaars ist kaum vollzogen, da klopft die Familie des Bräutigams schon ungeduldig an die Zimmertür. Sie will den Blutfleck auf dem Leintuch sehen – zum Beweis, dass die Braut jungfräulich in die Ehe ging. Jedoch, es gibt keinen Blutfleck. Große Aufregung.

"Ich habe mit der ganzen Welt geschlafen", sagt die junge Frau apathisch zum Arzt, der sofort konsultiert wird. "Warum sagst du so etwas?", fragt dieser erstaunt. Er kann ihre Jungfräulichkeit sofort medizinisch bestätigen. "Weil mir ohnehin niemand glaubt."

Klar, in dem kleinen türkischen Dorf abseits der Großstadt herrscht ehernes Patriarchat. Das Wort unverheirateter Frauen gilt nichts.

Lale, ein Schulmädchen, und ihre vier Schwestern leben als Waisen bei Großmutter und Onkel. Fünf hübsche, langhaarige Mädchen, die sich nichts dabei denken, nach Schulschluss mit Schulkollegen durchs Meer zu balgen. Völlig angekleidet, versteht sich. Doch eine fiese Nachbarin – "im kackfarbenen, figurenlosen Kleid" – verpetzt sie bei der Großmutter. Ab da verwandelt sich das Haus in eine Festung: Türen werden verriegelt, Fenster vergittert, der Schulbesuch untersagt. Das Zuhause verwandelt sich zur " Hausfrauenfabrik": Gelernt wird nur kochen, backen und nähen.

Oscar-Nominierung

Das vorzügliche Coming-of-age-Drama und Regiedebüt der türkisch-französischen Regisseurin Deniz Gamzen Ergüven wurde für den Auslands-Oscar nominiert und erinnert anfänglich an Sofia Coppolas "The Virgin Suicides". Doch geht es in "Mustang" weniger um Mädchen-Mystique als vielmehr um die konsequente Unterdrückung jugendlicher, und vor allem: weiblicher Lebensfreude.

Kurz nach dem Vorfall am Meer geht es auch schon los mit der Zwangsverheiratung: die älteste Tochter hat Glück, sie ist verliebt. Doch die zweite Schwester muss gleich den nächstbesten Bewerber nehmen.

"Frauen sollen in der Öffentlichkeit nicht lachen", heißt es einmal aus dem Fernseher – und man kann sich denken, wer da spricht. Die Girls zeigen der Stimme kichernd heimlich den Stinkefinger, was für eine von ihnen tödlich endet. Doch trotz vernichtender Umstände vermeidet die Regisseurin Tristesse-Realismus. Mit leichtfüßiger Kamera folgt sie den jungen, herumkugelnden Körpern, lässt lange Haare fließen und greift widerständige Mädchen-Energie auf. Manchmal tut sich das etwas zu gefällig, zu Arthouse-kalkuliert, immer aber mitreißend und lebendig.

INFO: F/D/T 2015. 97 Min. Von Deniz Gamzen Ergüven. Mit Günes Sensoy, Doga Zeynep Doguslu.

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Es beginnt mit einem Skiunfall. Eine Anwältin bricht sich das Bein und muss in die Reha-Klinik. Bald wird klar: Nicht nur das Knie, ihr Leben braucht Erholung – vor allem die emotional unglaublich aufreibende Beziehung zu ihrem Mann.

Regisseurin Maïwenn – einst als Ehefrau von Luc Besson und Teenage-Mutter des gemeinsamen Kindes in den Tabloids – erzählt die Abhängigkeit einer starken Frau von ihrem manipulativen, notorisch untreuen Ehemann als Tour de Force der Gefühle. Emmanuelle Bercot als Gefangene ihrer eigenen Emotionen oszilliert zwischen Temperament und Hysterie – und ist nicht immer leicht auszuhalten. Vincent Cassel fasziniert als egoistischer Verführer ebenso wie er abstößt: intensiv.

Text: Alexandra Seibel

INFO: F 2015. 124 Min. Von Maïwenn. Mit Emmanuelle Bercot, Vincent Cassel, Louis Garrel.

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Niemand rockt in Barry Levinsons missratener Culture-Clash-Misere die Kasbah, schon gar nicht The Clash. Stattdessen befinden wir uns in Afghanistan: Dorthin verschlägt es den abgehalfterten Rock-Manager Richie Lanz, den Bill Murray mit seinem Trademark-Gesichtsausdruck des gepflegten Desinteresses spielt. In Afghanistan hofft er mit einer talentlosen Sängerin bei den US-Truppen zu reüssieren. Stattdessen entdeckt er ein stimmgewaltiges junges Paschtunen-Mädchen, das er in die TV-Talente-Show "Afghan Star" bringen will.

Letzteres Detail beruht zwar auf einer wahren Begebenheit, macht aber den Film nicht besser. Beinahe schon wieder sehenswert: Kate Hudson als Edel-Prostituierte in einem Wohnwagen.

Text: Alexandra Seibel

INFO: USA 2015. 106 Min. Von Barry Levinson. Mit Bill Murray, Kate Hudson, Leem Lubany.

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Am Rande dümmlichen Klamauks bewegt sich die Fortsetzung des großen Culture-Clash-Hits "My Big Fat Greek Wedding" von 2002. Aber auch eine so lange Zeitspanne wie 16 Jahre konnten kein besseres Drehbuch hervorbringen als jenes, in dem die alten Eltern der sprechfreudigen Portokalos-Familie nach 50-jährigem Zusammenleben entdecken müssen, dass sie eigentlich nicht rechtlich verheiratet sind. Die ganze Familie rückt daraufhin zusammen – darunter auch Tochter Toula, Heiratskandidatin aus dem ersten Teil, um den Oldies ein würdiges Fest zu bereiten.

Zwischen schlechter Sitcom und Soap Opera schwankt die Familienkomödie haltlos von einem Sketch zum nächsten – meistens beyond blöd.

Text: Alexandra Seibel

INFO: USA 2016. 94 Min. Von Kirk Jones. Mit Nia Vardalos, Michael Constantine.

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Seit der Vater "Auszeit" genommen und die Familie verlassen hat, läuft das Leben eines kleinen Hamburger Buben aus dem Ruder. Als auch noch sein Hamster Raffi abhanden kommt, setzet er alles daran, den Nager wiederzufinden. Dieser erweist sich als umtriebiger als erwartet. Sympathisches, etwas hölzern inszeniertes Familienabenteuer.

Text: Alexandra Seibel

INFO: D 2015. 97 Min. Von Arend Aghte. Mit Nikolaus von der Recke, Sophie Lindenberg.

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