Kultur

"Midnight Special": Ein Bub wirft Blitze gegen Batman

"Kann man heutzutage noch Science-Fiction-Filme für Erwachsene drehen?" wurde US-Regisseur Jeff Nichols auf der diesjährigen Berlinale gefragt. "Ich glaube, das habe ich gerade gemacht", lautete dessen Antwort.

Nichols hatte soeben "Midnight Special" präsentiert. Sein vierter Langfilm feierte im Hauptwettbewerb der Berlinale Premiere und stieß rundum auf positive Verblüffung. Verblüffung deshalb, weil es anfänglich gar nicht so leicht schien, sich zurecht zu finden.

Was war es genau, was man da in soghaften, düsteren Bildern zu sehen bekam? Eine Kindesentführung? Eine Flucht vor den seltsamen Ritualen einer geheimnisvollen Sekte? Ein Remake von "E. T."? Eine Mischung aus Science-Fiction, Thriller und Familiendrama?

Was immer es war, es zog einen magnetisch an (Kinostart: Freitag). Und nach den Frustrationen, die jüngste, unpersönliche Lärmmacher wie "Batman v Superman" bei Kritikern und Publikum hervorgerufen haben, umso mehr. Denn das Kino von Jeff Nichols fühlt sich an wie die Antithese zu dem seelenlosen Gipfeltreffen der Superhelden. Erzählt wird eine intime, innige Geschichte, gefühlvoll, aber ohne Pathos, ernsthaft und ironiefrei. Und genau diese Geschichte überträgt Nichols in ein größeres Sci-Fi-Universum, ohne dabei im Spezialeffektgewitter zu verblöden. Auch muss er nicht, wie "Batman v Superman" endlose Erzählstränge lostreten, um für die nächsten zehn geplanten Superhelden-Filme vorzusorgen und deren Fangemeinden zu befriedigen. Stattdessen verlässt sich Nichols auf seine eigene Geschichte und entfacht gekonnt deren eigenwillige Intensität.

Einem James Cameron gelang dies beispielhaft mit seinem herausragenden Unterwasser-Sci-Fi-Ehedrama "Abyss – Abgrund des Todes". Nichols selbst beruft sich vor allem auf das Kino seiner Jugend von Steven Spielberg und John Carpenter. Kaum ein Kritiker, der "Midnight Special" nicht mit einem Spielberg-Film à la "E.T. – Der Außerirdische" oder "Unheimliche Begegnung der dritten Art" verglich. Auch John Carpenters Sci-Fi-Romanze "Starman" wird als Inspirationsquelle herangezogen.

Little Rock

Regisseur Jeff Nichols, der Mann aus Little Rock, Arkansas, war schon immer für Überraschungen gut. Erst machte er mit seinem Katastrophen-Thriller "Take Shelter – Ein Sturm zieht auf" von sich reden, dann mit dem Drama "Mud – Kein Ausweg". Für "Midnight Special" erhielt der vielbeachtete Indie-Regisseur, Jahrgang 1978, mit 23 Millionen Dollar erstmals ein größeres Budget überantwortet – und schon wird er als vielversprechender Blockbuster-Auteur gehandelt.

Mysterium

Dabei liebt "Midnight Special" sein Mysterium und erklärt vorerst wenig. Zwei Männer brettern im Auto ohne Licht in tiefschwarzer Nacht über die Landstraße. Sie haben ein wundersames Kind in ihrer Obhut, das mit Lichtschutzbrille und einer Taschenlampe Comic-Hefte studiert. Das Trio wird verfolgt – von geisterhaften Sektenmitgliedern, angeführt von Sam Shephard als deren spirituelles Oberhaupt; vom FBI; und von einem Vertreter der NSA (Adam Driver aus "Star Wars VII"). Sie alle jagen den achtjährigen Buben namens Alton, der mit Wunderkräften ausgestattet ist, in Zungen sprechen kann, blaue Blitze aus den Augen schießt und Satelliten zum Absturz bringt.

Zur Entstehung seines Filmes befragt, besteht Jeff Nichols immer wieder auf dem persönlichen Erfahrungsgehalt, der in das Schreiben seines Drehbuchs eingeflossen ist. Besonders die Eltern des Buben – die erschreckend traurig aussehenden Kirsten Dunst als Mutter und der kongeniale Jeff-Nichols-Darsteller Michael Shannon als Vater – und deren Beziehung zu ihrem Kind interessierten ihn. Sie stellte für den Regisseur das Herzstück seiner eigenen Erfahrung als Elternteil dar. Freimütig berichtet er in Interviews von einem niederschmetternden Erlebnis als junger Vater: Sein einjähriger Sohn erlitt einen Fieberkrampf und musste von den fassungslosen Eltern, die momentan um sein Leben fürchten, ins Spital gebracht werden. Zwar erholte sich das Kind ohne Probleme, doch dieses Erlebnis fuhr Nichols tief in die Knochen. Die größte Angst von Eltern – nämlich, ihr Kind zu verlieren – bildet den Kern von "Midnight Special": Der kleine Bub, der sich einer anderen Welt als der irdischen zugehörig fühlt und sich weg sehnt; und seine ihn liebenden Eltern, die das Kind zu seinem eigenen Wohl vielleicht aufgeben müssen.

Sci-Fi-Filme wie "Midnight Special" wären eine schöne Antwort auf "Superman v Batman" und das Blockbuster-Kino der Superhelden und Spezialeffekte. Wahrscheinlich aber bleibt es nur bei einer schönen Ausnahme.