Kultur

"Casanova ist kein kalter Verführer"

Michael Sturminger hat sein Musiktheaterstück "The Giacomo Variations" verfilmt – allerdings nicht, um einen Opernfilm daraus zu machen. Er kenne nur Opernfilme, wo Sänger Playback die Lippen bewegen, "wie die Affen", sagt Sturminger. Und das wollte er vermeiden.

"The Casanova Variations" (Kinostart: Freitag) nannte er seine mitreißende Kinoadaption, in der ein alternder Casanova auf sein Leben zurückblickt. Wieder spielt Hollywood-Star John Malkovich den Verführer, an seiner Seite Veronika Ferres eine mysteriöse Edelfrau. Furios verschmilzt Sturminger, dessen Opern-Inszenierung "Geschichten aus dem Wiener Wald" im März ins Theater an der Wien kommt, Vergangenheit mit Gegenwart, ein böhmisches Landhaus mit der Lissabonner Oper: Dort dirigiert Martin Haselböck das Orchester der Wiener Akademie, Tenöre wie Jonas Kaufmann und Florian Boesch singen Arien aus Mozart-Opern. Und Malkovich spielt manchmal Malkovich und manchmal Casanova.

KURIER: Herr Sturminger, in "The Casanova Variations" gibt es eine Szene, in der eine Filmproduzentin John Malkovich hinter der Bühne anbrüllt, sie würde niemals so ein furchtbares Stück verfilmen. War das aus dem Leben gegriffen?

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Michael Sturminger: Ja, alle diese Backstage-Geschichten sind tatsächlich passiert. Wir sind ja mit der Musiktheateraufführung "The Giacomo Variations" viel gereist und hatten dabei oft Gelegenheit zu beobachten, was John Malkovich alles so zustößt. In Australien kam eine Agentin aus Los Angeles eingeflogen, um die Aufführung zu sehen. Malkovich erleidet nach drei Minuten einen Herzinfarkt auf der Bühne – was zum Stück gehört – und sie dachte, er stirbt wirklich. Sie wurde unglaublich wütend und war ganz empört über diesen dummen Einfall. Überhaupt hat diese Szene mit dem Herzinfarkt die seltsamsten Geständnisse aus den Zuschauern herausgelockt. Eine reizende Wienerin meinte, das sei jetzt aber schade, sie habe so viel Geld für die Karte gezahlt.

Kann es anstrengend werden, einen "Star" dabeizuhaben?

Das Image, das John Malkovich hat, ist völlig falsch. Er ist nicht kapriziös, hat keine Entourage und braucht auch keinen Luxus. Mein Film hat als Gesamtbudget wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte von dem gehabt, was er als Gage für den Hollywood-Film "RED 2" bekam. Für meinen Film hat er umsonst gearbeitet. Er ist auch der Typ, der sich vor der Aufführung hinsetzt und dem Kleid der Sängerin den Saum umnäht. Er hat Modedesign gelernt und kann richtig nähen. Natürlich gibt es Momente, wo er richtig unfreundlich wird – aber nur mit Journalisten.

John Malkovich spielt den alternden Casanova, der seine Erinnerungen niederschreibt.

Die Handlung ist völlig Casanovas Memoiren entnommen. Beim Lesen seiner Biografie hatte ich das Gefühl, dass da jemand aufrichtig versucht, seine Lebensgeschichte zu erzählen. Er wollte herausfinden, wer er ist und ob er in seinem Leben versagt hat. Er fragt sich das, weil er die große Liebe, die er gesucht hat, nie gefunden hat.

Sie verwenden Musik aus Mozart/Da Ponte-Opern, darunter "Don Giovanni". Sind sich Casnova und Giovanni ähnlich?

Ursprünglich dachte ich, ich würde noch mehr Musik aus "Don Giovanni" verwenden, aber dort gibt es immer Zynismus: Don Giovanni reißt die Frauen auf, belügt sie und macht alles, damit sie eine Nacht mit ihm verbringen, um sie dann wegzuwerfen. Aber Casanova hat nicht so getickt. Er war kein kalter Verführer, kein "Abhaker" – und das war mir anfangs gar nicht bewusst. Casanova ist stark von der Suche nach echter Liebe getrieben, nicht nur nach sexueller Stimulation. Jedes Mal investiert er seine ganze Hoffnung – und das macht ihn so toll. Casanova ist kein zynischer Liebhaber.

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Haben Sie sich von Fellinis Film "Casanova" inspirieren lassen?

Fellini hat sich meiner Meinung nach überhaupt nicht für Casanova interessiert, aber trotzdem einen tollen Film über ihn gemacht. Ich beginne meinen Film mit einem bewussten Fellini-Zitat, wenn Casanova sagt: "Ich will eine Frau." Das bezieht sich auf eine Szene in "Amarcord" und ist eine große Verneigung vor Fellini.

Was wollten Sie Ihrem Stück mit der Verfilmung hinzufügen?

Ich versuche Gegenwart herzustellen und den Zuschauern die Möglichkeit zu geben, mit der Kamera die Geschichte auf allen Ebenen zu sehen. Der Film erreicht eine Direktheit, die man auf der Opernbühne schwer herstellen kann. Das kann man fast nur erreichen, wenn man direkt auf der Bühne steht. Martin Haselböck hat zu jeder Filmaufnahme dirigiert, die gesungen wurde, und die Sänger hatten die Freiheit zu gestalten. Es gibt kein Playback, nichts ist perfekt, aber alles ist lebendig.

Auch John Malkovich singt. Sie lassen ihn neben den Star-Tenören bewusst herausstechen?

Heutzutage versuchen alle Leute, wunderschön zu singen. Das ist ein irrsinniger Fehler in der Oper, denn es muss nicht jeder schön singen. Es wurde auch nicht jede Musik dazu geschrieben, um schön gesungen zu werden. Wenn John Malkovich am Ende das Ständchen aus "Don Giovanni" singt, finde ich das stärker, als wenn es "schön" gesungen wäre. Es braucht diese Schönheit nicht.

"Ich brauche die Variation", heißt es im Film. Sie auch?

Variation war unser Gestaltungsprinzip. Jede Wiederholung einer Einstellung ergab eine neue Variante. Für mich gibt es keine Suche nach Perfektion, sondern nach größerer Intensität. Die Filme, die mich stark beeindruckten – wie "Apokalypse Now" – wussten nicht einmal, wie sie enden würden. Aber genau das ist das Tolle an der Arbeit: Zu sehen, was dabei herauskommt.