"Im Zentrum": Strolz, Kurz und die "Bombe unterm Sessel"
Von Peter Temel
*Disclaimer: Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends.*
Die wichtigsten Fragen klärte zu Beginn gleich Politik-Auskenner Peter Filzmaier. Er schob in einem eingespielten Beitrag Spieljetons in Parteifarben über den Pokertisch und beurteilte die Schwierigkeiten bei den drei aussichtsreichsten Koalitionsvarianten. „Tarnen und Täuschen ist ganz schlecht“, sagt er, es gehe um „Vertrauen“.
Diskutiert wurden die Zukunftsaussichten dann bei "Im Zentrum" in einer Runde von Polit-Veteranen. Erste Überraschung: Andreas Khol, der in der vergangenen Woche oft befragt wurde, war nicht dabei. Für die ÖVP saß die ehemalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat in der Runde.
"ÖVP grüner als man denkt“
Zunächst ließ man die gescheiterten Gespräche zwischen Schwarz und Grün aus dem Jahr 2003 Revue passieren. Rauch-Kallat hätte ihn damals gründlich „examiniert“, sagt der frühere stv. Grünen-Klubchef Karl Öllinger. Ob es mit ihm passe. Schon damals habe die ÖVP verbreitet, dass die Wiener Grünen ein Problem darstellen könnten.
Dann zurück in die Zukunft: Eine 180-Grad-Wende, wie die zurückkehrende Grünen-Abgeordnete Sigrid Maurer forderte, müsste die ÖVP nicht hinlegen, sagt Öllinger. Dennoch sehe er Türkis-Grün derzeit nicht als wahrscheinlichste Koalitionsvariante. Noch eher komme eine Minderheitsregierung oder eine Fortführung von Türkis-Blau.
Rauch-Kallat hält die Ausgangsbasis ebenfalls für „schwierig“, bemühte dann aber wieder die Parteigeschichte. Die ÖVP sei schon vor der Gründung der Grünen grün gewesen. Als Zeugen ruft sie die „bunten Vögel“ unter Erhard Busek auf, sowie Joschi Rieglers Konzept einer ökosozialen Marktwirtschaft, das damals keiner verstanden habe, aber von dem heute alle reden würden. „Die ÖVP war grüner als man denkt“, sagt Rauch-Kallat.
Ex-Neos-Chef Matthias Strolz nennt das eine „kreative Geschichtsdeutung“.
Noch immer gehen auch die Meinungen darüber auseinander, wer 2003 die Verhandlungen platzen ließ. Öllingers These: Schüssel habe stets darauf gedrängt, dass nur eine Woche Zeit sei. Rauch-Kallat erwidert: Schüssel habe durchaus eine zweite Woche angeboten. Peter Pilz hätte aber gesagt, jetzt sei der Bundeskongress der Grünen und man müsse das Ergebnis dort präsentieren.
Der ehemalige SPÖ-Innenminister Franz Löschnak (1989 bis 1995) gibt an, bei fünf Regierungsverhandlungen dabei gewesen zu sein (zuerst 2x Rot-Blau vor Haider, dann 3x Rot-Schwarz). Die aktuelle Situation sieht er so: Kurz sei jetzt einmal gefragt, er habe etwas anzubieten. „Man kann ja nicht davon ausgehen, dass, nur weil er Wahlsieger ist, das Wahlprogramm der ÖVP 1:1 von den anderen abgenickt wird.“
Rosenkranz: Verlust in zwei Scheiben
Walter Rosenkranz war bis zum Mai Klubchef der FPÖ und ist nun Volksanwalt. Die Parteilinie der FPÖ könnte er wohl noch immer fehlerlos aufsagen, auch wenn er mitten in der Nacht aufgeweckt würde. Das Wahlprogramm der ÖVP sei, wie schon vor der Wahl 2017 zu 50 Prozent eine “Blaupause“ der FPÖ-Politik. Das würde Verhandlungen zwar erleichtern, aber: „Wenn man 10 Prozent verliert, und zwar in zwei großen Scheiben - 5 Prozent wegen Ibiza, 5 Prozent wegen der Spesen - dann sind wir nicht die 'erste Wahl'.“
„Neben aller Taktik muss das Staatswohl im Vordergrund stehen“, hatte Rosenkranz in seinem Kurzstatement vor der Sendung gesagt. Moderatorin Claudia Reiterer ortet in der aktuellen Oppositionsansage der FPÖ einen Widerspruch dazu. Rosenkranz sieht diesen nicht, schließlich sei auch das Oppositionshandwerk im Sinne des Staatswohles. Man wolle jedenfalls „kein Steigbügelhalter“ sein.
Strolz mit launigen Formulierungen
Und dann kommt Strolz. Reiterer zitiert eine Aussage des Neos-Gönners Hans Peter Haselsteiner, wonach den Pinken in einer Dreierkoalition die „tödliche Umarmung“ durch die ÖVP drohe.
Strolz möchte ein anderes Sprachbild wählen. Etwas weniger Martialisches als "tödliche Umarmung" etwa, fragt man sich.
Viel weniger martialisch wird es nicht. Strolz sagt, „dass hier zwei Regierungen in die Luft gegangen sind in relativ kurzem Abstand. Wer immer mit Sebastian Kurz koaliert, der hat ein bissl das Problem, weil er das Gefühl hat: ‚Ich kann ned einmal aufs Häusl gehen, weil wenn i z‘ruck komm, hab ich vielleicht eine Bombe unterm Sessel.“
Großes Schmunzeln im Publikum, aus dem Off kommt ein bronchiales Lachhusten.
Strolz, der im Mai 2018 überraschend seinen Rückzug aus der Politik verkündete, hat sein Publikum sofort wieder in der Tasche. Und hält es weiter bei der Stange. Der „Schwiegersohn-Charme“ von Kurz sei beträchtlich, sagt er, das stärke aber auch Vorbehalte der potenziellen Partner, ob so eine Koalition auch hält. „Ich kann mir vorstellen, dass den Grünen g‘scheit die Muff'n geht“, sagt Strolz. Er empfiehlt, sich in der „Höhle des Löwen“ zusätzlich mit einer anderen Kraft einzuhängen. Mit den Neos gebe es mehr inhaltliche Schnittflächen, wie etwa die CO2-Steuer.
Er sieht generell eine Übergangsphase, bis sich "eine neue Machtmechanik" herausbilde. Die frisch zusammengewürfelte grüne Truppe werde sich wohl noch finden müssen, meint Strolz. Und die Wiener Grünen würden vor den Wien-Wahlen sicher keine Freude mit einer Koalition mit „Gottseibeiuns“ Kurz haben.
Ibiza und Knittelfeld
„Müssen sich künftige Koalitionspartner fürchten?“ fragt Reiterer resümierend.
Rauch-Kallat relativiert die These, dass Kurz Regierungen sprenge. Schließlich sei Ibiza überraschend gekommen und ein Weiterregieren schlicht „nicht möglich“ gewesen.
Rosenkranz relativiert wiederum das und wärmt den bekannten Streit zwischen Türkis und Blau auf: Zunächst sei eine Fortführung der Koalition für Kurz noch vorstellbar gewesen, dann wäre es plötzlich nur ohne Herbert Kickl gegangen. Das sei ein „taktisches Foul“ gewesen, „um die FPÖ wieder nach Knittelfeld zu schicken“, sagt Rosenkranz.
Rauch-Kallat widerspricht: Die ÖVP sei weder an der Knittelfelder FPÖ-Spaltung noch an Ibiza beteiligt gewesen.
Öllinger wittert Kalkül mit Minderheitsregierung
„Es muss auch Sebastian Kurz ein bissl die Muff‘n gehen", sagt der Grüne Öllinger in Anlehnung an Strolz. Denn Kurz habe zwei Mal eine Regierung gesprengt und könne sich das kaum ein drittes Mal leisten. Die erste Sprengung - Öllinger meint Rot-Schwarz 2017 – halte er "für noch gravierender, weil da hat er die eigene Partei mitgesprengt.“
Er befürchte das Szenario einer Minderheitsregierung, die voraussichtlich nur kurz im Amt wäre. Dahinter könnte das Kalkül stehen, so Öllinger, bei einer Neuwahl „noch einmal abzukassieren, bei anderen Parteien, die derzeit nicht sehr stark sind.“
Dann setzt Strolz zu einem virtuellen Helikopterflug an, um die Politik von oben zu betrachten. Er sehe die Lüge mittlerweile als Grundprinzip im politischen Handeln. Nicht nur die Trumps, Johnsons und Bolsonaros dieser Welt würden auch noch stolz auf sich sein und dies als Professionalität verbuchen.
„Nein, Matthias“, sagt Rauch-Kallat. „Ja, Maria“, antwortet Strolz. „Das Miteinander hat sehr gelitten“, sagt er. Das liege auch daran, „dass eine Kanzlerpartei aufs Parlament gepfiffen hat - mir würden auch ganz andere Worte einfallen.“ Am Verhandlungstisch sei diese „Respektlosigkeit“ schwer zu überwinden. Denn: „Wem soll ich jetzt glauben? Dem, den ich ein paar Jahre erlebt habe oder dem, der mich in Verhandlungen bezirzt?“
"Türkis ist einfach eine freundlichere Farbe"
Rauch-Kallat hält das für „Schwarzmalerei“ und für eine „Horrorvorstellung“. Sie gesteht aber zu, dass es notwendig sei, eine Gesprächsbasis schaffen, „die in den letzten Jahren zu kurz gekommen ist“. Es brauche Vertrauensaufbau.
Sie zitiert den alten ÖVP-Slogan „Kraft der Mitte“. Wenn die Grünen nicht zu sehr auf Mitte-Links beharren würden, könnte man sich eben in dieser Mitte treffen. Als positive Beispiele nannte sie die Zusammenarbeit in mehreren Bundesländern.
Aber das seien schwarz-grüne Landesregierungen, keine türkisfarbenen, wirft Öllinger ein.
Daraufhin greift Rauch-Kallat zur Schönfärberei: „Türkis ist einfach eine freundlichere Farbe.“ Es gebe eine Basis, die sich den christdemokratischen Werten verpflichtet fühlt.
Wenn man zwischen den Zeilen liest, klingt sogar bei ihr ein Unbehagen durch.
Löschnak: "Ein Ministerium ist ja kein Würstelstand"
Auch Löschnak hält Strolz‘ Lügenvorwurf an die Politik für „zu verallgemeinernd“. Als alter Verhandlungsprofi sagt er: „Die beiden Bosse müssen sich vertragen“, das erleichtere die Koalitionsgespräche ungemein.
Ein weiterer Tipp des SPÖ-Mannes: Auch wenn die Öffentlichkeit schon Druck mache und Ergebnisse sehen wolle, gelte es nicht ins „Hudeln“ zu verfallen. „Fehler in den Formulierungen sind drei Monate später schon Gegenstand von Auseinandersetzungen.“
Die Ministerien dürfe man erst am Schluss verteilen, denn: „Wenn Sie mit den Funktionen anfangen, werden die Verhandlungen nie beendet.“
Und Löschnak hält Kompetenz im Führen großer Unternehmen für wünschenswert. Weil: "Das ist ja kein Würstelstand, wo es darum geht, ein Paarl Würstel zu verkaufen.“ Es gehe um Apparate mit bis zu 35.000 Mitarbeitern.
Strolz: "Bis etwas neues Stabiles kommt“
Strolz steigt noch ein letztes Mal in den virtuellen Helikopter. Er blickt zurück auf die langen Jahrzehnte, in denen es außer Rot und Schwarz nichts gegeben habe. Nun rechne er - nach Misstrauensantrag und Übergangsregierung - mit weiteren neuen Experimenten und Jahren der Instabilität, „bis etwas neues Stabiles kommt.“
Was dieses "neue Stabile" sein könnte, wurde nicht erörtert. Vielleicht braucht es dazu ein eigenes "Im Zentrum".