„Grundsätzlichen Zielkonflikt" beim ORF-Gesetz
Von Christoph Silber
Nach der Kür der neuen ORF-Führung und deren Antritt mit 1. Jänner, stehen nun die ORF-Gremien zur Neubesetzung an. Die zeitliche Nähe ist allerdings quasi Zufall. Während die ORF-Geschäftsführung für fünf Jahre bestellt wird, sind ORF-Gremien nur vier Jahre im Amt. Der Stiftungsrat, der einem Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft entspricht, absolviert am 17. März seine letzte Sitzung, der Publikumsrat am 7. April.
Die Neu-Besetzung und die Konstituierungen erfolgen im Mai. Sie bringen im Kräfteverhältnis, jedenfalls bis zu den nächsten Wahlen, eine Verschiebung Richtung ÖVP und Grüne. Spätestens da werden wieder die jüngst öffentlich gewordenen Sideletter der ÖVP-FPÖ-Koalition bzw. der aktuellen Regierung dazu hervorgeholt. Daraus schlagend werden könnte, dass Lothar Lockl von den Grünen den Stiftungsratsvorsitz von Norbert Steger (FPÖ) übernimmt.
„Einen grundsätzlichen Zielkonflikt“ beim ORF-Gesetz ortet da Martin Schauer, Universitätsprofessor für Zivilrecht am Juridicum in Wien, im KURIER-Gespräch. Einerseits werde vom Gesetzgeber die Unabhängigkeit und Objektivität beim ORF besonders hervorgehoben und etwa bei der Programmgestaltung recht genau geregelt. Bei der Besetzung des Stiftungsrates begnügt man sich mit Ausschließungsgründen. So darf etwa kein parlamentarischer Mitarbeiter einer Partei und ein Abgeordneter nominiert werden. „Aber mehr scheint der Gesetzgeber sich bisher nicht zu wünschen.“ Dass Personen im Stiftungsrat ein Naheverhältnis zu einer Partei haben, sei demnach auch nicht rechtswidrig. „Natürlich kann man auf rechtspolitischer Ebene finden, dass das zu wenig ist.“
Gute Freunde
Formalrechtlich wenig auszusetzen gibt es an Freundeskreisen. „Ungewöhnlich daran ist im Vergleich zu Aufsichtsräten nur, dass man sich nach außen hin so deklariert.“ Dass man sich über Inhalte austauscht und das Abstimmungsverhalten akkordiert, sei auch dort nicht anders. „Das ändert nichts daran, dass jedes Mitglied im Prinzip weisungsfrei agiert.“
Das gelte im Übrigen auch für den ORF-Generaldirektor. Aber „es ist vollkommen klar, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft sich vorab mit dem Aufsichtsrat über wichtige Geschäftsangelegenheiten austauscht. Es geht hier ja auch darum, dass Know-how dieser Personen fruchtbar zu machen.“ Das kann auch Personalbestellungen beinhalten, soweit der Stiftungsrat in der Folge diesen zustimmen muss. In der Ebene unterhalb von Direktoren kann dies auch der Fall sein, wenn es um Prokura und Handlungsvollmachten geht.
Grundsätzlich meint Schauer: „Dass ein Stiftungsrat nur tun darf, was explizit zu seinen Kompetenzen zählt, halte ich aus rechtlicher Sicht für unrealistisch und für lebensfremd.“ Lobbyieren für das Unternehmen, wie das Stiftungsräte zum Teil für eine ORF-Novelle tun, gehört für Schauer allerdings nicht unbedingt zu den Aufgabenpflichten. „Das ist dann ein Bereich, bei dem die Grenzen zwischen Unternehmenspolitik oder Förderung des Unternehmensinteresses und der politischen Tätigkeit verschwimmen.
Warmer Händedruck
Wirklich ungewöhnlich am Stiftungsrat ist für den Uni-Professor, dass die Mitglieder zwar mit ihrem Vermögen für mangelnde Sorgfalt haften – dafür aber neben Fahrt- oder Hotelspesen nur einen warmen Händedruck bekommen. „Das kenne ich sonst nirgends so“, so Schauer.
Was beim Thema ORF diesmal den stets erhöhten Blutdruck senken könnte: Der neue Stiftungsrat wird, so nichts Außergewöhnliches wie eine ORF-Novelle passiert, nicht in die Situation kommen, eine neue ORF-Führung zu wählen. Vielmehr warten auf ihn die Mühen der Tiefebene eines Aufsichtsrates.