Kultur/Medien

Doku über NS-Verbrechen: "Dort war das Gras ganz dunkel"

Nur noch fünf Tage sollte der Zweite Weltkrieg dauern, in Wien war bereits die neue provisorische Regierung Renner im Amt. Dennoch kam es noch zu weiteren sinnlosen und unmenschlichen NS-Verbrechen. Eines davon ist das Massaker von Hofamt Priel. In der kleinen Gemeinde im niederösterreichischen Strudengau wurden in der Nacht vom 2. auf den 3. Mai 1945 von den Nazis 228 Kinder, Frauen und ältere Männer ermordet.

Bis heute wurde den Tätern nicht der Prozess gemacht, die grausame Massentötung wurde, im Gegensatz zu anderen Endphaseverbrechen wie jenem von Rechnitz, auch keiner breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Vor Ort wurde Jahrzehnte lang nicht über das Massaker gesprochen. Erst 1993, nach jahrelangen Diskussionen, wurde von einem Holocaustüberlebenden ein kleiner Gedenkstein gesetzt, der aber versetzt werden musste.

„Vielleicht hat nur niemand genau nachgefragt“, sagt Hans Hochstöger in seiner Doku. Er habe beschlossen, nach Antworten zu suchen. Der Filmemacher begab sich 2015 gemeinsam mit seinem Bruder Tobias auf eine mutige Reise in die Vergangenheit der benachbarten Orte Hofamt Priel und Persenbeug, in denen die beiden selbst aufgewachsen sind. Daraus entstand die Kinodoku "Endphase". Für die ORF-Schiene "Dokfilm" wurde nun eine gekürzte Fassung erstellt. „Das Schweigen der Alten“ läuft am 23. Jänner, 23.05, in ORF2.

Schweigen brechen

Hochstöger konnte Einheimische dafür gewinnen, das Schweigen zu brechen. So berichtet etwa Barbara Weber, wie ihr Vater damals die Ereignisse vom Haus der Familie aus mitverfolgt hat. Sie selbst war damals 14.

Bekannt ist, dass die an mehreren Tatorten erschossenen Zwangsarbeiter mit Benzin übergossen und angezündet wurden. Doch anhaltender Regen verhinderte dieses Unterfangen. Weil die Täter die Rache der immer näher kommenden Roten Armee fürchteten, wurden die Leichen in der Nähe verscharrt. „Das hat man noch Jahre später gesehen … dort war das Gras ganz dunkel“, sagt Frau Weber. Es ist einer dieser Sätze, bei denen man das unfassbare Grauen realisiert.

Die betroffenen ungarischen Jüdinnen und Juden waren bei den berüchtigten Todesmärschen ins KZ Mauthausen zurückgeblieben und wurden von Gendarmeriekräften in den Baracken der Donaukraftwerksbaustelle Ybbs/Persenbeug gesammelt. Die Umstände, unter denen ein SS-Rollkommando die Menschen hinauf nach Hofamt Priel brachte und dort erschoss, sind heute noch im Dunklen.

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Historisches Puzzle

Da die Wahl auf einen versteckten und für eine Massenerschießung geeigneten Ort fiel, wurde immer wieder gemunkelt, es könnte einheimische Hinweisgeber oder Mithelfer gegeben haben. Obwohl der couragierte Revierinspektor Franz Winkler bereits am Morgen nach dem Verbrechen seine Ermittlungen gegen die Massenmörder aufnahm, wurde den Indizien von behördlicher Seite nie ausreichend nachgegangen.

Die Suche nach Spuren und nach Überlebenden gestaltet sich wie ein Puzzlespiel. Dem damals gerade erst enthafteten Sozialisten Klemens Markus ist es zu verdanken, dass es Fotos von den Leichenbergen, und damit von den Opfern gibt. Aus dem Akt des Falls sind die Fotos verschwunden, wie die Hochstögers feststellten. Vor einigen Jahren tauchten im Zuge der Herstellung eines Bildbandes über Hofamt Priel ein paar der Fotografien zufällig auf. Tobias Hochstöger – er ist Politikwissenschafter – reiste nach Israel, um die Fotos in der Gedenkstätte von Yad Vashem mit tausenden schockierenden Fotos aus jener Zeit abzugleichen – und wurde fündig.

Somit gelang es auch, die wenigen, mittlerweile hochbetagten Überlebenden der unfassbaren Vorgänge ausfindig zu machen: Marton Klein in Ungarn, dessen Bruder Zev Vilmos Klein und Yakov Schwartz in Israel.

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Exhumiert

Berührend und gleichzeitig bedrückend ist es, wenn die Kamera zeigt, wie etwa Zev Klein den jüdischen Friedhof von St. Pölten besucht. Er muss sich dazu durch ein Loch im Zaun zwängen.

Im Jahr 1964 waren die Gebeine der Toten exhumiert und dorthin gebracht worden, obwohl der Ort des Geschehens als Kriegsgrabstätte unter Schutz stand. Dieser wurde in Bauland umgewidmet, mittlerweile befinden sich dort zahlreiche Häuser.

Kleiner Trost

Nach Recherchen der Historikerin Eleonore Lappin-Eppel konnte mittlerweile ein großer Grabstein mit den Namen der Opfer jener Nacht in St. Pölten aufgestellt werden – ein kleiner Trost für die Nachkommen.

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Ein viel größerer Trost wäre es wohl, wenn Gewissheit über die Täter bestünde und diese zur Rechenschaft gezogen wären. 1963 sind die offiziellen Ermittlungen eingestellt worden.

„Ich glaube, dass man noch mehr über die Täter erfahren kann“, sagt Hans Hochstöger im Gespräch. „Und ich halte es durchaus für möglich, dass es irgendwo einen hochbetagten Herrn gibt, der weiß, was er damals getan hat, aber seinen Lebensabend wahrscheinlich in Ruhe verbringen kann.“

Das Verbrechen
Nur wenige Tage vor Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in dem Dorf Hofamt Priel (NÖ) eines der schwersten Endphaseverbrechen verübt. Es wird auch "Bartholomäusnacht von Hofamt Priel" genannt.

228 jüdische Kinder, Frauen und ältere Männer wurden von einem SS-Rollkommando ermordet

Der Film
ORF2 zeigt „Das Schweigen der Alten“ am 23. Jänner 2022 um 23.05 Uhr, im Vorfeld des Holocaust-Gedenktages (27.1.) Es ist eine gekürzte Fassung des Films „Endphase“ (derzeit im Kino).

Ein Roman
Auch der St. Pöltner Autor Manfred Wieninger beschäftigte sich mit dem Massaker von Hofamt Priel. Er schrieb darüber den Roman "223 oder Das Faustpfand" (Residenz Verlag). Im Juli 2021 verstarb Wieninger unerwartet im Alter von 59 Jahren