Kultur/Medien

Bachmannpreis 2022, Tag 1: Gaskrise, Qual und der nackte Körper der toten Oma

Wer im Fernsehen Sätze wie „Die Brille ist natürlich eine Anspielung auf die Kant-Krise bei Kleist“ vermisst, der findet sie hier – und wohl nur noch hier.

Mit Debatten um den nackten Körper einer toten Oma, über die Sonnenbrillenhaftigkeit von Literatur,

versiegende Gaslieferungen (wenn auch im Jahr 1985) und, wie es sich gehört, vor allem innerhalb der Jury begann am Donnerstag das Wettlesen der Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, die immer noch alle nur „Bachmannpreis“ nennen. Und trotz einiger Neuerungen bewegte sich das Wettlesen schnell wieder in bekannten Gewässern: Man kam, las und stritt.

Und zwar um das Größte und Kleinste zugleich, um die Literatur. Erneut saßen einander also Autorinnen, Jury und das Fernsehpublikum in einem gleichschenkeligen Beziehungsdreieck gegenüber, und jeder spielte seinen Part: Die Autorinnen lasen Texte, die Jury rieb sich an diesen und aneinander, und das Publikum Zuhause sah fern auf eine Art, wie sie durchaus unüblich geworden ist – als meditativ-passiven Ausdruck von Bildungsbürgerlichkeit abseits des Bücherzirkels, vielleicht.

Alle Inhalte anzeigen

Pirouetten um die Texte

Oder wegen der Wortgefechte bzw. der Pirouetten, die die Jury um die Texte herum vollführte.

Denn nur beim Bachmannpreis sind Sätze wie „Der Text bekommt etwas Quälendes“ als Lob gemeint – diesfalls für Eva Sichelschmidts „Der Körper meiner Großmutter“. Hier kam die Jury so richtig in Fahrt: Das emotionale Juryzentrum Klaus Kastberger attestierte dem Text das schon erwähnte Quälende – und lobte, dass die Autorin zeigte, dass „radikale Texte nicht unverständlich sein müssen“.

Widerspruch

Wo sonst auch sieht man Autorinnen und Autoren dabei zu, öffentlich derart gepiesackt zu werden? Es ist nicht immer schön. „Dieser Text hätte viel früher aufhören müssen“ ist jetzt vielleicht nicht der Satz, für den man – diesfalls Hannes Stein – den Zug nach Klagenfurt heraussucht, dicht gefolgt von „Der Text ist so banal, dass ich mich nicht mal richtig darüber aufregen kann.“

Die vielleicht insgesamt fundiertest positive Reaktion heimste hingegen Alexandru Bulucz ein. Der punktete mit seinem Verweis auf eine vergangenen Gaskrise nicht nur beim begleitenden Social-Media-Gemurmle, sondern mit seiner Sprache und nicht zuletzt seinem „wunderbaren Vortrag“ – wie Jurorin Vea Kaiser betonte – bei der Jury: „Man braucht etwas länger für diesen Text, vielleicht weil wir es gar nicht mehr gewöhnt sind, dass so geschrieben wird“, sagte Jurychefin Insa Wilke, und auch das war als Lob gemeint.

Alle Inhalte anzeigen

Die Wortmeldung „Der Text hat eine hermetische Innerlichkeit, mir fehlt die Welthaltigkeit“ von Juror Philipp Tingler eher nicht.

Den Abschluss nach Leon Engler machte Autor Andreas Moster mit einem Text, der die Schwierigkeiten eines Vaters – Sportler – mit der Kinderbekümmerung beschreibt. Hier, zwischen Elternproblemen und Vaterperspektive, spürte man schon im Ansatz die etwaigen Schwierigkeiten heraufdräuen – die Kaiser zuletzt zusammenfasste: „Ich bin begeistert, weil dieser Text eben von keiner Frau geschrieben wurde.“ Und wo sonst hört man das.