Anzeigenstornos nach Terrorvideos auf oe24.at
Die Veröffentlichung von Videos, die schwer Verletzte oder Sterbende zeigen, ist für Medien eine absolute Gratwanderung. Schaulust soll nicht bedient werden, im Fall von Terrorattacken geht es auch darum, den Attentätern nicht noch eine zusätzliche Bühne zu geben, um ihr Ziel zu erreichen: Die Verbreitung von Angst. Das Boulevardmedium oe24.at hat dennoch solche Filme auf seiner Website publiziert. Auch in der Printversion von Österreich sah man zahlreiche blutende und Verletzte aus der Terrornacht vom 2. November.
Das rief große Proteste hervor. Der Presserat berichtete am Dienstagvormittag von 700 Beschwerden. "Ein absoluter Negativrekord", schrieb das freiwillige Selbstkontrollorgan am Dienstagvormittag.
Schnell verabschiedeten sich auch große Anzeigenkunden: Sowohl Billa als auch Spar gaben bekannt, ihre Anzeigen zu stornieren.
Hier verkündet Billa ein Anzeigenstorno:
"Pietät gegenüber den Opfern"
Der Sprecher der Rewe Group, Paul Pöttschacher, begründete den Schritt gegen über dem KURIER so: "Es ist für uns als Unternehmen stets ein Gebot der Rücksichtnahme, dass wir aus Pietät gegenüber den Opfern und Bedacht auf die Gefühle der Menschen in Österreich in Umfeldern von Terror und Gewalt nicht werben." Das gelte auch für die Berichterstattung über das Attentat vom 2. November.
So reagierte Spar auf Twitter:
Auch die Erste Bank reagierte am Dienstag noch mit einem Storno. Die Bank schrieb auf Twitter, man werde aus oe24.tv und oe24.at Buchungen rausnehmen.
Presserat ist tätig
Der Presserat ist mit der Angelegenheit beschäftigt, sagte Geschäftsführer Alexander Warzilek am Dienstag. Auch Krone.at wird behandelt. Der Senat werde sich außerdem mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern die Interessen der Terroristen befördert würden, wenn zu viele Bilder gezeigt werden, sagte Warzilek. Der Presserat mahnte zur Zurückhaltung: „Verbreiten Sie keine Gerüchte, behindern Sie nicht die Polizei, verzichten Sie auf Aufnahmen und deren Verbreitung, gefährden Sie weder sich selbst noch die Ermittlungen.“
Krone nahm wieder offline
Österreich-Chef Wolfgang Fellner hält die Aufregung „ für „völlig überzogen“. Der Chefredakteur der „Kronen Zeitung“, Klaus Herrmann, reagierte in einer schriftlichen Stellungnahme: „Wir haben uns nach internen Diskussionen in der Nacht entschieden, Tatvideos nach bestmöglicher technischer Entschärfung zu veröffentlichen, um die Bedrohungslage zu unterstreichen. Die Videos wurden heute Morgen nach der - vermuteten - Entspannung der Lage wieder offline genommen“, hieß es gegenüber der APA.
Auch Stadt Wien prüft Inserate
Bei einer Pressekonferenz wurde Wiens Bürgermeister Michael Ludwig auf die Berichterstattung angesprochen. Er habe sich noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt, da es zuerst um Menschenleben ging. Man wolle aber "prüfen", welche Bemerkungen "Institutionen wie der Presserat abgeben" und dann daraus Schlüsse ziehen.
Österreichs Medienjournalisten verurteilen Veröffentlichung
Der Verein Medienjournalismus Österreich verurteilt die von einigen Medien – allen voran oe24 und Kronen Zeitung – veröffentlichten Fotos und Videos zum Terroranschlag in der Wiener Innenstadt. Diese Form von Journalismus ist unverantwortlich und degoutant. Sie gibt den Tätern auch noch eine Bühne und verletzt die Persönlichkeitsrechte ihrer Opfer. Solche Veröffentlichungen widersprechen nicht nur dem Ehrenkodex der Presse, sondern könnten auch juristische Folgen nach sich ziehen, weil die Verbreitung von Aufnahmen, auf denen Opfer eines solchen Anschlags zu erkennen sind, medienrechtlich unzulässig ist.
Der Verein Medienjournalismus Österreich appelliert daher an alle Kollegen und Medien, nicht den Voyeurismus mancher zu befriedigen, sondern verantwortungsbewusst und mit Bedacht zu handeln.
Im Verein Medienjournalismus Österreich (MÖ) sind Redakteure und Redakteurinnen heimischer Tageszeitungen, Fachmedien und der APA-Austria Presse Agentur sowie freie Journalistinnen und Journalisten vertreten. Der MÖ wurde im Sommer 2003 gegründet. Er setzt sich zum Ziel, eine "kritische Öffentlichkeit gegenüber der Medienlandschaft" herzustellen, heißt es in den Statuten, in denen der Verein auch dezidiert gegen die Missachtung des Ehrenkodex der österreichischen Presse auftritt.
Journalistengewerkschaft fordert Konsequenzen
Voyeurismus im Angesicht eines brutalen, verabscheuungswürdigen Verbrechens hat im seriösen Journalismus keinen Platz. Diesem Berufsverständnis seien im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Terroranschlag von Wien allerdings nicht alle Medien nachgekommen. „Niedere Instinkte unter dem Deckmantel der Information bedienen zu wollen, bedarf einer umgehenden Reaktion des Staates. Die Journalistengewerkschaft in der GPA-djp fordert daher, derartigen medialen Entgleisungen die Unterstützung mit Steuergeldern zu entziehen“, sagt Eike-Clemens Kullmann, Bundesvorsitzender der Journalistengewerkschaft in der GPA-djp.