Kultur

Politycki: Knochen suchen im Gebirge

Wandert ein Deutscher durch die Berge Usbekistans und Tadschikistans. Kommt ein Kirgise des Weges, der Wächter dieser Gegend, und überlegt, ob er den Deutschen gleich auf der Stelle erdrosseln soll. Zahlt sich nicht aus.

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Der Kirgise holt Schleim aus Hals und Nase, kaut ihn genüsslich, spuckt ihn auf seine rechte Hand, drückt den Kopf des Deutschen hinunter und lässt ihn alles aufschlecken. Ein handfester Beginn des Romans mit dem manierierten Titel „Samarkand Samarkand“. Er dreht sich, wie man vermuten könnte, um die usbekische Stadt, eine der ältesten Städte der Welt – die antike Seidenstraße ging hindurch und ließ sie erblühen. Das war einmal, geblieben ist der so magisch klingende Name (den wir jetzt nicht gleich noch einmal verwenden werden).

Timur

Es heißt, dem bekannten deutschen Schriftsteller Matthias Politycki ging er 25 Jahre nicht aus dem Kopf. Er wusste bloß nicht genau, wie daraus ein Roman werden könnte. Erst beim Anblick der Fotografie eines sehr alten Russen, der schreit (vielleicht lacht er auch), kam die Erkenntnis. Politycki dachte bei diesem Gesicht nämlich an den Mongolen Timur (1336– 1405), Eroberer im Zeichen des Islam, der aus den Schädeln der Besiegten Türme bauen ließ. Aber an Kultur war er auch interessiert, wie später Hitler halt. Deshalb also zwei Mal Samarkand! Einmal fürs neue, einmal fürs alte. So gesehen wäre ein „Wien Wien“-Roman dringend notwendig.

Jedenfalls trinkt der vom Kirgisen so gedemütigte deutsche Held Kaufner in Samarkand grünen Tee mit einem gewissen Vierfinger-Shamsi, besucht den Schaschlikbrater, eine Heilerin wird mehrmals lautstark rülpsen – was ein gutes Omen ist ...

Er plagt sich – beschützt von einer 14-jährigen Wirtstochter, die den Tod vorhersagen kann – in der Umgebung von Gipfel zu Gipfel, vorbei an böse Flüssen, hinunter ins „Tal, in dem nichts ist“, hinauf zum Kobrafelsen, zum Leeren Berg ...

Was macht er hier? Gemach, gemach. Es soll ja verwirrend sein. Leider ist’s kein Abenteuerroman geworden, sondern will Mysterium sein.

Langsam erfährt man: Der Deutsche hat einen Auftrag. Es herrscht nämlich Krieg im Europa der Jahre 2027/’28. Erstens haben sich die Völker im Süden – die „Verdammten der Zeitläufte“ – erhoben.

Versteck

Zweitens steht der Sultan von Bagdad bereits am Rhein. Bald wird er auch Köln zerstören und Köpfe auftürmen. Drittens haben die Russen die DDR wieder installiert, und es wird nicht mehr lang dauern, bis die Chinesen eingreifen – gewiss nicht auf Seiten Deutschlands. Was für einen Auftrag hat Kaufner, der 58 ist, so alt wie sein Erfinder Politycki?

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Man traut sich’s fast nicht sagen: Er sucht das Grab des alten Timur. Er sucht die Knochen, irgendwo im Fangebirge oder am Serafschanrücken oder im Hissormassiv. Das bestgehütete Versteck der islamischen Welt. Das Kraftzentrum aller Eroberer. Der ehemalige Gebirgsjäger Kaufner hat bloß gesagt bekommen: Von den Knochen und Grabbeigaben hänge Sieg oder Niederlage ab, Weil sie Symbol sind. Weil die Entdeckung den Glauben der Gegenseite erschüttere. Das Ganze wundert ihn schon , und zumindest in diesem Punkt ist er unsereins sehr nahe.

KURIER-Wertung: *** von *****

INFO: Matthias Politycki: "Samarkand Samarkand". Verlag Hoffmann undCampe. 400 Seiten. 23,70 Euro.