Kultur

Martin Walker: Auf einen Aperitif zu Bruno

Die Franzosen, das weiß man, nehmen Essen und Trinken ernst. Wo sonst gibt es in diesem Zusammenhang Titel wie "Konsul" und "Ritter"?

Martin Walker, der Schotte im Périgord, ist als "Grand Consul de la Vinée de Bergerac" und "Chevalier de Foie gras" Mitglied honoriger Bruderschaften, die sich mit großem Ernst den Themen Wein und Gänseleber widmen. Ernst, aber mit einer charmanten Lässigkeit, nimmt man die Gastronomie auch im Hause Walker.

Im Südwesten Frankreichs, in der saftig-grünen Dordogne, liegt der 2700-Seelen-Ort Le Bugue, in den der schottische Journalist und spätere Bestsellerautor Martin Walker vor 13 Jahren das Verbrechen brachte: "Schatten an der Wand" hieß der Krimi, der sich, zunächst noch ohne Ermittler Bruno, mit dunklen Geheimnissen und prähistorischen Höhlenmalereien des Vézère-Tals auseinandersetzte.

Der Dorfgendarm

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Bald danach trat Bruno Courrèges, Chef de Police, seinen Dienst an. Im fiktiven, Le Bugue nachempfundenen Ort Saint-Denis (der einzige Name, den Walker erfunden hat, alle andern sind authentisch) ermittelte der Gemeindepolizist bisher sechs Mal, der siebente Fall liegt nun auf Deutsch vor. Bruno hat, wie die meisten von Walkers Protagonisten, ein echtes Vorbild: den Dorfgendarmen Pierrot. "Ich bin Journalist", sagt Walker, "ich schreibe, was ich sehe."

Über den Vézère-Fluss, der sich durch den Ort Le Bugue schlängelt, führt eine mittelalterliche Brücke, und diese mündet in eine kleine Landstraße zu Walkers Hof. 1999 hat sich der frühere Guardian-Journalist mit seiner Familie hier niedergelassen, und er ist in vieler Hinsicht zum Franzosen geworden: spricht die Landessprache tadellos, trinkt mittags seinen Apéro und kurvt mit einem himmelblauen, klapprigen 2CV über die schmalen Landstraßen. Mittlerweile sind auch seine Bruno-Romane ins Französische übersetzt worden. Ein Wagnis, denn die Franzosen lassen sich ungern ihr Land erklären, und schon gar nicht von einem Angelsachsen. Die Übung gelang: Bruno ist auch hier ein Bestseller, sein Schöpfer gilt als der Périgord-Botschafter schlechthin und ist dem Tourismus-Verband mittlerweile unabkömmlich.

Das hübsche Huhn

Einen alten Tabak-Trockenspeicher, von denen es in der Gegend noch viele gibt, hat Walker hier auf seinem Grundstück zur Garage umfunktioniert. Gleich daneben gackern die Bewohner eines Hühnerstalls: Hennen namens Merkel, Thatcher und Carla Bruni (ein besonders hübsches Huhn) sind hier umtriebig, ebenso der Fasan Hollande sowie ein Gockel namens Sarko: Nur die mögliche Wiederkandidatur seines Namensgebers hat ihn bisher vor dem Eintopf, dem Coq-au-vin gerettet.

Doch selber schlachten kann Walker ohnehin nicht, er verspeist höchstens die Hühner von Nachbarin Francette. Als der KURIER bei ihm zu Gast ist, serviert Walker auf der pittoresken Holzveranda hausgemachte Pastete und Nusswein, zupft geschwind ein paar Radieschen aus dem Beet. Die Rezepte sind im vor Kurzem erschienen Bruno-Kochbuch nachzulesen. Doch wie zum Beweis, dass sie tatsächlich von ihm (und seiner Frau Julia, einer Gastro-Journalistin) stammen, erklärt der Gastgeber rasch das Rezept für seinen vin de noix, einen Aperitif aus dieser an Walnussbäumen reichen Gegend: 50 grüne Walnüsse, vor dem 21. Juni geerntet, samt grüner Hülle zerhackt, 500 Gramm Zucker, acht Liter einfacher Rotwein, ein Liter Brandy: Zusammenrühren und an einem dunklen Ort mindestens 42 Tage ruhen lassen.

Beim Rundgang durchs Haus merkt man, hier lebt ein unruhiger Geist, um nicht zu sagen: ein Arbeitstier. Auf dem Tisch liegt in einer blauen Mappe schon der nächste Bruno. "Der Patriarch" wird das Buch heißen, es erscheint im Sommer auf Englisch. Eine Story über einen Kriegshelden. Wieder wird Walker darin Geschichte von gestern und heute verbinden. Und der übernächste, der neunte Bruno, ist auch schon fertig. Er wird von einem Bugatti handeln, von dem es nur mehr vier Exemplare auf der Welt gibt, drei kann man verorten, der vierte ist verschwunden. Walkers Augen leuchten. Er ist und bleibt Investigativ-Journalist mit Leib und Seele.

Albtraum

Im spartanisch eingerichteten Arbeitszimmer, wo unser Gastgeber am Laptop täglich drei Seiten schreibt, biegen sich die Bücherwände mit Bänden über Politik und Zeitgeschichte. Walker, Historiker, studierte in Oxford und Harvard, bevor er 25 Jahre als Journalist werkte. Heute leitet er nebenbei eine Denkfabrik für Manager in Washington. Außerdem schreibt er weiterhin politische Bücher, das nächste, eine Zukunftsvision über Europa, kommt im Herbst. Wird es eine Utopie oder eine Albtraumvision? "Ein bisschen von beiden".

Im Wohnzimmer hängen Erinnerungen an seine politischen Begegnungen, unter anderen mit den Clintons. Sie verbindet er, indirekt, auch mit seinem Haus im Périgord: Er sei gerade bei Bill Clinton gewesen, als seine Frau Julia ihm resolut mitgeteilt habe, sie habe das ideale Haus gefunden. Und wie meistens, sagt Walker, habe sie recht gehabt.

Es muss tatsächlich Liebe sein, die Walker mit dieser Gegend verbindet. Schon die Croissants der Konditorei Cauet hinter dem Rathaus bringen ihn zum Schwärmen. Es kann gut sein, dass es Croissants und Patisserien wie diese in vielen Dörfern Frankreichs gibt. Aber für Walker sind diese die besten der Welt.

Geheimnis

Und in dieser Hingabe liegt wohl auch das Geheimnis seines Erfolgs im deutschsprachigen Raum. Auch in England verkaufe sich Bruno gut, aber die Engländer hätten nicht die selbe Leidenschaft wie die Deutschen. "In Großbritannien habe ich zwei Minuten zwischen den Lokalnachrichten und dem Wetter. Dann kommt eine Blondine und nennt mich ,Marty‘." Deutsche Leser seien anders, viel interessierter. "Man hat eine bestimmte Idee von Frankreich. Ich treffe einen Nerv."

Walker hat das Périgord zum Bruno-Pilgerweg umgebaut. Überall Erinnerungsorte. Bei der nahe gelegenen Hexenhöhle, der Grotte des sorcières, erinnert er sich: "Hier hat Bruno Isabell zum ersten Mal geküsst". Und beim Ausflug zum unweit gelegenen Schloss Commarque ist er gedanklich schon bei den Recherchen für den nächsten Fall: "Hier wird der elfte Bruno spielen", murmelt er.

Zuvor aber wird Walker mit seinem Freund Pierrot kochen: Heute vielleicht Schnepfe mit Foie gras. Und in der Weinbar Chez Monique ein oder zwei Gläsern Pécharmant, dem Bergerac-Rotwein, zusprechen.

Die Idylle im Dörfchen Saint-Denis wird erschüttert, als ein autistischer Teenager aus dem Dschihad in Afghanistan zurückkehrt. Ermittler Bruno Courrèges muss herausfinden, in welche Machenschaften der Bursche dort verwickelt wurde. "Provokateure", der siebente Fall für Bruno, Chef de police, ist sehr politisch geraten. Martin Walker scheint darin mehr denn je zu seinen journalistischen Wurzeln zurückgekehrt: "Wir haben die letzten 25 Jahre seit dem Mauerfall in einer sehr friedlichen Welt gelebt, für die Europäer war dies eine Epoche des Wohlstands und des Friedens. Mehr und mehr müssen wir feststellen: Diese Welt bleibt nicht so. Wir haben immer mehr ökonomische und soziale Probleme. Es erschien mir zum jetzigen Zeitpunkt einfach nicht möglich, einen Roman zu schreiben, ohne Fragen zu Immigration, zum Dschihadismus und zum Terrorismus zu stellen", sagt Walker im KURIER-Gespräch über seinen Roman, den er im vergangenen Herbst beendet hat.

Ein intelligenter Kerl

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"Die Menschen, die im Meer ertrinken, die Flüchtlingswelle, die sozialen Zustände, die sich ständig verschlechtern: Darüber nicht zu schreiben, wäre nicht ehrlich, wir können nicht in unser unser kleines Paradies im Périgord flüchten, ohne darüber zu sprechen, was auf der Welt passiert. Es ist vielleicht nicht sehr bequem für die Bruno-Leser, die gerne über die schöne Landschaft, den Wein und das Essen lesen. Aber, de temps en temps, von Zeit zu Zeit, muss man eine Figur weiterbringen. Und weil Bruno ein intelligenter Kerl ist, muss er auf die Umstände der Zeit reagieren."

INFO: Martin Walker: „Provokateure“. Diogenes. 384 Seiten. 25,40 Euro