Kultur

"Lohengrin" in Bayreuth: Das große Insektensterben

„Let me tell you about the birds and the bees, the flowers and the trees, the moon up above – and a thing called love.“
 

Dean Martin (1917–1995)

Nach den Ratten kommen also die Bienen. Oder die Fliegen. Und irgendwelche seltsamen Vögel. Und am Ende gibt es das große Insektensterben. Topaktuell:  Soeben wurden alle Deutschen aufgerufen, an einem Tag im August eine Stunde lang im Umkreis von ein paar Quadratmetern Insekten zu zählen. Willkommen in Bayreuth 2018.

Was hatte es doch für Aufregung gegeben, als Hans Neuenfels im Jahr 2010 „ Lohengrin“ im Rattenlabor angesiedelt hatte. Diesmal tragen die Bürger von Brabant keine Rattenfüße, sondern Flügel. Und das Gottesgericht, in dem Lohengrin und Friedrich von Telramund um Elsa kämpfen, findet wie ein  Quidditch-Match in der Luft statt. Im Zuge des Duells reißt der Schwanenritter seinem Gegner einen Flügel aus. Ein neuer Ansatz, intellektuell vielleicht auf Maurice Maeterlincks „Das Leben der Bienen“ basierend. Auch an Franz Kafkas „Verwandlung“ erinnernd.

Aber warum eigentlich? Das wird im Verlauf der Bayreuther Neuproduktion ebenso wenig beantwortet wie die Frage, warum Lohengrin hier eine Art Elektriker ist. Na gut, Brabant hat seine Energie verloren und braucht dringend eine Elektrifizierung. Immerhin ein Zugang. Und nicht schon wieder Nazis oder Bierzelt-Mief auf der Bühne wie so oft bei „Lohengrin“, zuletzt  am Royal Opera House in London.

Elsas Emanzipation

Yuval Sharon führte Regie und formuliert einen anderen interpretatorischen Ansatz sehr schön aus. Im Zentrum seiner Sicht auf die romantische Oper steht Elsa, die sich durch das Stellen der verbotenen Frage an Lohengrin diesmal nicht schuldig macht, sondern von der Männerwelt emanzipiert. Sie befreit sich  von den Fesseln, die ihr Lohengrin, dieser Spießer,  im wahrsten Wortsinn zu Hause anlegt. Ein armes Hascherl zu sein, reduziert auf Gehorsamkeit, ist nichts für diese Frau. Für ihre Rebellion findet sie Unterstützung bei Ortrud. Zwei Suffragetten in BrabantYuval Sharons Kommentar zur #MeToo-Debatte.

Ansonsten: Stehtheater, regungslose Chormassen, kein Schwan, sondern bestenfalls ein Batman-Symbol – und am Ende ein grünes Männchen, froschartig im Kermit-Stil, das anstelle des Knaben Gottfried erscheint und die Insekten hinwegrafft.  Lächerlich.

Der (optische) Star dieser seltsam verrätselten Produktion ist aber ohnehin das Bühnenbild des Künstlerpaares Neo Rauch und Rosa Loy. Sie tauchen die Geschichte in ein träumerisches und traumhaft schönes Nachtblau, schon Nietzsche hatte „Lohengrin“ ja die Farbe Blau zugeordnet. Im Brautgemach taucht aggressives Orange auf. Und dann, naja, das grüne Manderl.
Im Bühnenzentrum steht eine Art Trafostation, auf der der weiße Vogel landet und aus dem Lohengrin in biederem Grau, als hätte er gerade ein paar Reparaturarbeiten erledigt, erscheint. Es zuckt und blitzt, man wähnt sich in einem kafkaesken, fantastischen Märchen.

Meisterhafte Malerei

Der zweite Akt spielt zunächst hinter einem Vorhang mit malerischen Referenzen an Künstler wie etwa Gustave Courbet, mit wunderbar altmodischen Schiebkulissen, mit Wolken, Bäumen und einem kleinen Türmchen als Kemenate, aus der Elsa wie Rapunzel schaut. Das Licht ist perfekt, die Kostüme sind inhomogen, von den erwähnten Insekten bis zu Van-Dyck-Figuren, aber geschmackvoll. Rein ästhetisch ist diese Arbeit hinreißend, die Wagner-Atmosphäre ideal einfangend. Visuell ein  barockes Zaubertheater in einer malerischen Umsetzung.

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Fabelhaft, farbenprächtig, kontrastreich, zart impressionistisch, dann wieder zupackend und expressionistisch ist auch das Dirigat von Christian Thielemann am Pult des glänzenden Orchesters. Aus jeder noch so kleinen Sequenz holt er den maximalen Effekt heraus, seine Pianissimi sind bestechend, seine Gestaltungskraft ist enorm. Mit dieser „Lohengrin“-Premiere hat er höchst erfolgreich seinen  Bayreuth-Zyklus vollendet und alle Wagner-Opern, die im Festspielhaus aufgeführt werden, dirigiert.

Erstklassiger Einspringer

Auch die Besetzung ist durchwegs hochkarätig. Piotr Beczala, kurzfristig eingesprungen für Roberto Alagna, der die Partie nicht rechtzeitig gelernt hatte, ist ein phänomenaler Lohengrin, noch sicherer als bei seinem Debüt mit Anna Netrebko in Dresden. Ganz fein eigentlich, diese Lernfaulheit von Alagna. Beczala ist ein Schwanenritter mit Italianità, nobel in den Phrasierungen, ausreichend kraftvoll in der Höhe, mit schönem Timbre. Die Gralserzählung singt er besonders schön.

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Anja Harteros ist eine famose Elsa, berührend, präzise in der Höhe, selbst wenn ihr Sopran für diese Partie recht dramatisch ist. Waltraud Meier kehrte für die Ortrud nach 18-jähriger Absenz und einmalig nach Bayreuth zurück und wurde  am meisten bejubelt. Egal, wie viele Töne sie wirklich trifft – ihre Ausstrahlung und Präsenz, ihre sängerische Klugheit und ihre Erzählweise sind einzigartig. Tomasz Konieczny ist ein mächtiger Telramund, von der Trafostation energetisch am stärksten aufgeladen. Georg Zeppenfeld  besticht als König Heinrich mit stimmlicher Eleganz und klarer Diktion. Egils Silins ist ein sehr guter Heerrufer, auch der Chor singt exzellent.

Diese Neuproduktion in Bayreuth ist definitiv eine der besseren der vergangenen Jahre. Und vielleicht würde ja Dean Martin nach ein paar Gläsern Whiskey verstehen, was die Insekten und die Liebe hier miteinander zu tun haben.