Kultur

Literatur-Nobelpreis geht an Bob Dylan

Der heurige Literatur-Nobelpreis geht an Bob Dylan. Das gab die schwedische Akademie am Donnerstag bekannt. Dylan habe eine neue Form poetischen Ausdrucks innerhalb der großen amerikanischen Song-Tradition geschaffen, hieß es in der Begründung. Er ist damit der erste Popmusiker, der die höchste Literatur-Auszeichnung erhält.

Und er wurde, unüblicherweise, offenbar überrascht: Die Jury habe vor der Verkündung am Donnerstagmittag nicht mit ihm gesprochen, sagte die Chefin der Schwedischen Akademie, Sara Danius, nach der Bekanntgabe. Sie wollte ihn aber so schnell wie möglich anrufen. „Ich denke, ich habe eine gute Nachricht.“

Dass der große Folkmusiker jemals den Literatur-Nobelpreis bekommen würde, galt lange Jahre als (unwahrscheinliche) Option, die aber stets große Zustimmung hatte. Derzeit ist Bob Dylan Teil des "Desert Trip"-Festivals in Kalifornien, bei dem sich die Generation Dylans - Rolling Stones, Who, Paul McCartney - noch ein Mal groß präsentiert.

Verliehen wird die mit acht Mio. Kronen (830.435 Euro) dotierte Auszeichnung dann mit den übrigen Nobelpreisen am 10. Dezember, dem Todestag des schwedischen Dynamiterfinders und Preisstifters Alfred Nobel, in Stockholm. Im Vorjahr hatte die Weißrussin Swetlana Alexijewitsch die renommierteste Literaturauszeichnung der Welt erhalten.

Der Folkgigant im Porträt

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Bob Dylan wurde am 24. Mai 75 Jahre alt. Eine seiner besten Platten, das bahnbrechende erste Doppelalbum der Popgeschichte, „Blonde On Blonde“, hat heuer ebenfalls ein rundes Jubiläum - es erschien vor 50 Jahren. Er ist Dichterfürst und Folkrevolutionär, prägte mit seinen Textzeilen die Alltagssprache und erweiterte mit seiner musikalischen Entwicklung den geistigen Horizont der Popmusik wie kein anderer.

Bob Dylan, geboren als Robert Allen Zimmermann in Duluth (Minnesota) absolvierte während seiner College-Zeit erste Folk-Auftritte. Beeinflusst von Galionsfiguren der Bewegung wie Pete Seeger und Woody Guthrie machte sich der junge Musiker ab 1961 einen Namen in der New Yorker Folk-Gemeinde und darüber hinaus. Im März 1962 erschien mit „Bob Dylan“ das Debüt-Album des inzwischen unter diesem Künstlernamen auftretenden Sängers, bestehend vor allem aus Folk- und Blues-Standards.
Schon damals schrieb er eigene Stücke, politische und sozialkritische Protestsongs und eindringliche Liebeslieder. Viele davon erschienen 1963 auf dem zweiten Album „The Freewheelin' Bob Dylan“, darunter Folk-Klassiker wie „Blowin' In The Wind“, „A Hard Rain's A-Gonna Fall“, „Masters of War“ und „Don't Think Twice, It's All Right“. Im gleichen Jahr ging Dylan als Gastsänger von Folk-Star Joan Baez auf eine große USA-Tournee. Sein Durchbruch fiel in eine Periode des gesellschaftlichen Wandels - mittendrin stand der Sänger und traf die Gefühle der Fans mit Alben wie „The Times They Are A-Changin“ (1964).

Dylans Streben nach ständiger Entwicklung war aber immer präsent, und nach und nach bahnte sich die Rockmusik ihren Weg in sein Schaffen: Auf dem 1965 erschienenen Album „Bringing It All Back Home“ (mit „Mr. Tambourine Man“) gab es noch akustische Songs, die beiden folgenden Werke „Highway 61 Revisited“ (1965, mit Liedern wie „Like A Rolling Stone“ oder „Desolation Row“) und „Blonde On Blonde“ (1966, mit etwa „I Want You“, „Leopard-Skin-Pill-Box Hat“) vervollständigten den Wandel. Rockmusik erreichte hier eine neue Qualität, mit Analysen geradezu herausfordernden Texten voller Bilder und Anspielungen. Textzeilen von Dylan gingen in den allgemeinen Sprachgebrauch über (z.B. „Don't Follow Leaders“ aus „Subterranean Homesick Blues“)

Protest

Die Rock-Fans akzeptierten den Künstler schnell, die Folk-Gemeinde protestierte hingegen. Als Bob Dylan seinen neuen Sound beim Newport Folk-Festival im Juli 1965 präsentierte, wurde der Bruch offensichtlich. Als der damals 24-Jährige die Bühne betrat, hatte er eine Band dabei - und eine elektrische Gitarre. Die Menge begrüßte den Abtrünnigen mit Hohn und Spott, hatte dieser sich doch anscheinend zum Ausverkauf an die Moderne angeschlossen. Auf der nun folgenden Tournee durch die USA und England focht der Sänger einen Dauerkampf aus: Spielte er allein auf der Akustik-Gitarre, wurde er bejubelt. Wenn nach der Pause die Band The Hawks dazukam, schlug die Stimmung schlagartig um.

Dann kam der legendäre Moment in der Free Trade Hall in Manchester. Die Stimmung war bereits unruhig und aggressiv - und als der Song „Ballad of a Thin Man“ verklungen war, kam der legendär gewordene Aufschrei eines jungen Fans: „Judas!“. Wie dieser Jesus verraten haben soll, hatte Dylan nach Ansicht seiner Fans ihre Erwartungen verraten. Der Sänger reagierte verächtlich: „I don't believe you“, rief er zurück: „You're a liar.“ Dann forderte er seine Band trotzig auf: „Play fucking loud“. Es folgte eine wütende Sieben-Minuten-Version von „Like A Rolling Stone“.

Dylan stand damals aber nicht am Ende seiner Entwicklung. Immer wieder beeinflusste er die Popmusik und prägte Trends, so mit dem Country-Sound auf den Alben „John Wesley Harding“ (1967), „Nashville Skyline“ (1969) und zum Teil auch auf „Self Portrait“ (1970). Unter anderem beeinflusste im Juli 1966 auch ein Motorradunfall das Wirken des Sängers, der sich danach lange ins Privatleben zurückzog. 1973 schrieb Dylan die Filmmusik zu „Pat Garrett & Billy the Kid“, in dem er auch selbst eine zentrale Rolle spielte (neben Kris Kristofferson und James Coburn). Das Album enthält mit „Knockin' on Heaven's Door“ den wohl meistgecoverten Song Dylans. Im Meilenstein „Blood on the Tracks“ (1975) verarbeitete Dylan die Trennung von seiner Frau Sara Lowndes, im gleichen Jahr erschienen die „Basement Tapes“.

Zeitweise musste sich auch Dylan in seiner langen Karriere Durchschnittlichkeit vorwerfen lassen. Ende der 70er und in den 80er Jahren spielte Dylan im Vergleich zu vorher kaum mehr eine Rolle. Erst Anfang der 90er mit „Good As I Been to You“ (1992), „World Gone Wrong“ (1993) und vor allem „Time Out Of Mind“ (1997) bzw. „Love and Theft“ (2001) kehrte er wieder ins öffentliche Bewusstsein zurück. Verkaufserfolge wurden in diesen Jahren vor allem die „Bootleg Series“ mit vorher nur auf Bootlegs erschienenen Live-Aufnahmen.

Legendär sind auch Dylans Live-Auftritte, bei denen er seine Songs immer wieder bis zur Unkenntlichkeit zersingt und neu erfindet. 2004 veröffentlichte er mit „Chronicles“ des ersten Teil seiner Autobiografie. Trotzdem bleiben viele seiner Songs und Texte mehr oder weniger mystisch - was eine Art eigene Wissenschaftergattung, die „Dylanologen“, hervorgebracht hat. Viele finden seine Texte fast zu gut. Am besten fasste dies der englische Schriftseller Nick Hornby zusammen: „Die beste Musik spricht die Seele an, nicht den Verstand, und irgendwie befürchte ich, dass die ganze Dylan-Verehrung in gewisser Weise anti-musikalisch ist.“

Wer es noch nicht mitbekommen hatte, weiß es jetzt: Die Revolution, die einst die Rockgrößen ausgerufen hatten, ist vorüber. Das ist kein Lamento, das ist ein alter Hut, so einer, wie Bob Dylan ihn oft aufhat: Die Populärkultur hat damals einen großen Generationenwandel ausgerufen - und ist längst die Siegerkultur geworden. Der Literaturnobelpreis für den einstigen Folk-Revolutionär Bob Dylan ist da nur der letzte Holzhammer für all jene, die noch Berührungsängste haben oder Popkultur als minderwertig abtun.

Hochkulturiger als bei Dylan wird es eh nicht: Ein halbes Jahrhundert bereits hat er mit seiner Musik die Menschen erreicht, mit seinen Texten aber eine ganze, eigene Welt geschaffen. Die haben eine Wirkungsmacht entwickelt wie kaum ein anderes literarisches Oeuvre, und das wurde nun ausgezeichnet.

Einwände? Klar. Es wird nicht alle Literaten freuen, es gibt außergewöhnliche Autoren, die vergeblich auf den Literaturnobelpreis warten. Und man muss der schwedischen Akademie zu Gute halten, dass sie Dylans Texte überhaupt verstanden haben, so wie der nuschelt. Dass aber Poesie vor allem in der Popmusik die Menschen erreicht, dass etwa auch Bruce Springsteen einer der wichtigsten Arbeiter-Dichter des vergangenen Jahrhunderts ist, muss man nicht mehr feststellen.

Bob Dylan, Nobelpreisträger: Mit der Auszeichnung, noch dazu justament während des Desert Trip Festivals ausgesprochen, endet, auf seine Art, der Traum der Rockmusik von einer besseren, freieren Welt. Aus dem sind wir aber ohnehin längst aufgewacht, und haben gemerkt: Hoppla, das ist keine Revolution mehr, das ist Kunst.