Kultur

Leid durch Liebe aufgewogen

52 Jahre haben Viktor und Elly Frankl miteinander, Seite an Seite, gelebt. Wie sie einander kennenlernten, wie viele Berge sie erklommen haben und warum sie letztlich noch gemeinsam den Flugschein machten, kann man jetzt wieder in Buchform nachlesen.

Die seit Jahrzehnten vergriffene autorisierte Biografie von Haddon Klingberg Jr. ist in einer Neuauflage beim Facultas Verlag erschienen. Der Autor ist tief in die Lebenswelten der beiden eingetaucht. Monatelang lebte er ab 1993 in einer 14 großen Wohnung in der Alser Straße, um tagtäglich für Interviews in die Mariannengasse – die seit Jahrzehnten das Domizil der Frankls war – zu gehen.

Kein Wein und ein Ring

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Bei der kürzlich stattgefundenen Buchpräsentation erzählte Elly Frankl sehr unterhaltsam von ihrer Ehe und ihrer Hochzeit. Bei dieser konnte sich das Paar statt Wein nur rosafarbenes Wasser leisten. „Mein Kleid hat gekratzt wie Papier. Weil ich keine Strümpfe gehabt habe, habe ich mir die Füße braun angestrichen, damit es zumindest nach welchen aussah“.

Am Cover der sehr persönlichen Biografie ist das Hochzeitsfoto der Frankls vom 18. Juli 1947 zu sehen. Sie schauen beide auf ihren Ehering. Denn aus Kostengründen hatten sie nur einen, den sie sich gegenseitig bei der Trauung an den Finger stecken mussten.

In denkbar schweren Zeiten, 1937, eröffnete Viktor Frankl eine Praxis als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Wien. Am 11. März 1938 hielt er in der Urania einen Vortrag unter dem Titel „Nervosität als Zeiterscheinung“. „Als ich die Urania verließ, sah ich auf den Straßen draußen jubelnde und johlende Menschen, viele mit Fackeln in der Hand. Das war die Ankunft des Dritten Reiches. Ich lief nach Hause und fand meine Mutter weinend im Bett. Kanzler Schuschnigg hatte soeben abgedankt, und im Radio spielte eine unsäglich traurige Musik.“

Am 24. September 1942 wird er gemeinsam mit seiner ersten Frau Tilly und seinen Eltern nach Theresienstadt deportiert. Er ist der Einzige, der den Holocaust überleben sollte.

Giftschlange im Glas

Elly arbeitete 1946 als zahnarzttechnische Assistentin an der gleichen Klinik wie Viktor. Obwohl sie bereits von dem schwierigen neuen Chef der Psychiatrie gehört hatte, dauerte es zehn Wochen, bis sie einander das erste Mal begegneten. Sie meldete sich freiwillig, als es darum ging, ihm, dem Abteilungsleiter der Neurologie, ein freies Bett für einen Patienten abzuluchsen. „Merkwürdig, vielleicht auch ein bisschen verrückt“, war Ellys erster Eindruck von dem renommierten Psychiater, der 20 Jahre älter war als sie. Der Funke ist bei ihr nicht sofort übergesprungen.Um sie wiederzusehen, täuschte Viktor Frankl starke Zahnschmerzen vor. Bald gestand er ihr jedoch den kleinen Schwindel und lud sie in seine Wohnung ein. „Wollen Sie mich nicht einmal besuchen? In meinem Zimmer habe ich etwas, was Sie bestimmt interessiert. Ich habe nämlich der gefährlichsten Giftschlange von Österreich den Garaus gemacht... Jetzt liegt sie in Formaldehyd in einem Schraubglas. Möchten Sie sie nicht sehen?“ Noch im selben Jahr zog Elly bei Viktor ein.

„Wir haben über ein halbes Jahrhundert eine urkomische Ehe geführt. Wir hatten in der Mariannengasse schon den Spitznamen siamesische Zwillinge. Ich habe diese 52 gemeinsamen Jahre wirklich genützt, ja fast krankhaft genützt. Nichts hätte mir mehr gegeben, als mein Leben mit diesem Mann zu verbringen, der anderen Menschen so viel gegeben hat.“

Wie viel sie ihm gegeben hat, lässt sich aus einer persönlichen Widmung erahnen, die er ihr kurz vor seinem Tod in eines seiner Bücher geschrieben hat: „Für Elly, die es zustande brachte, aus einem leidenden Menschen einen liebenden zu machen.“