Kultur

Kunstrückgabe: #MeToo im Museumsdepot

Die internationale Museumswelt erlebt derzeit ihre eigene Version der #MeToo-Debatte. Auch hier geht es um einen über lange Zeit praktizierten Machtmissbrauch, allerdings nicht auf sexueller Ebene: Im Fokus stehen Kulturgüter, die durch Raub oder kolonialistische Ausbeutung Teil von westlichen Museumssammlungen wurden. Man wusste längst, dass es diese Objekte gibt – und doch schien sich am Status Quo wenig zu ändern.

Dass die Debatte, in der es um Bewusstseinsbildung ebenso wie um Restitution, europäische Kulturpolitik und internationale Beziehungen geht, eine völlig neue Dynamik erhielt, ist zwei Impulsen zu verdanken. Einer davon kommt aus Berlin: Das Museums-Megaprojekt Humboldt Forum soll dort 2019 eröffnen und mehrere museale Sammlungen präsentieren – darunter auch ethnographische Bestände aus deutscher Kolonialzeit. Die Frage der Herkunft der Objekte wurde im Vorfeld allerdings „zu zögerlich“ angegangen, monierte die in Berlin und Paris lehrende Kunsthistorikerin Benedicte Savoy, die im Juli des Vorjahres entnervt aus dem wissenschaftlichen Beirat des Museumsprojekts austrat.

„Gefangen“ im Museum

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Im November ließ dann Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch in Ouagadougou (Burkina Faso) aufhorchen. „Ich möchte, dass in den nächsten fünf Jahren die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass afrikanisches Kulturgut temporär oder permanent nach Afrika zurückgegeben wird“, erklärte er: Die Kulturschätze könnten „nicht länger ein Gefangener europäischer Museen sein.“ Just Benedicte Savoy wurde von Macron dazu bestellt, bis November einen Plan für das weitere Prozedere zu erarbeiten. In einem Kommentar für das Art Newspaper verkündete die Wissenschafterin: „Die Restitutions-Revolution beginnt.“

Seitdem herrscht Aufregung – auch in London, wo das British Museum einen großen Teil jener Metallobjekte besitzt, die Soldaten 1897 im Rahmen einer „Strafaktion“ aus dem Königspalast von Benin im heutigen Nigeria raubten. In Berlin gaben Kulturministerin Monika Grütters und Hermann Parzinger, Gründungsintendant des Humboldt Forums, gegenüber der ZEIT zu Protokoll: „Geraubte und gestohlene Dinge werden wir zurückgeben.“ Der deutsche Museumsbund veröffentlichte in der Vorwoche rasch einen Leitfaden, wie Museen mit kolonialen Objekten umzugehen hätten.

Vorbild Wien?

In Wien fühlt man sich auch angesprochen – besitzt doch das Weltmuseum eine ethnographische Sammlung von Weltrang, in der sich auch etliche der so genannten „Benin-Bronzen“ finden. Auch um den „Penacho“, den mexikanischen Federkopfschmuck aus dem 16. Jahrhundert, wurden lange Rückgabedebatten geführt. Macrons Forderung sei jedoch etwas, das „die Museen pauschal so nicht erfüllen können – weder in Frankreich, noch sonst irgendwo in Europa“, sagt Sabine Haag, die Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums (KHM) zu dem das Weltmuseum gehört.

Die Herkunftsgeschichten der Objekte spielen im jüngst neu eröffneten Haus zentrale Rollen, betont Haag: Das zeige sich nicht nur in eigenen Sälen zur Kolonialgeschichte, sondern auch in der Einbindung von Menschen aus den Herkunftsländern bei der Objektpräsentation: „Gerade in dieser Auseinandersetzung wird das Weltmuseum als internationales Vorbild gesehen.“

Im Fall der Beutekunst aus Benin habe die mittlerweile nach Hamburg berufene Ex-Kuratorin Barbara Plankensteiner bereits 2002 eine internationale Dialoggruppe mit initiiert. „Da geht es um das Thema der ,shared heritage’, wo man überlegt, diese Objekte für gewisse Zeit in Kulturinstitutionen Nigerias zu geben – nicht als Leihgabe, nicht als Rückführung, sondern als geteilte Sammlung“, erklärt Haag. Das Problem sei nicht zuletzt, dass sich politische Entitäten verändert haben, wodurch es rechtlich oft völlig unklar ist, an wen ein Objekt konkret zurückgegeben werden könnte. Auch die Frage, wie die Schätze bestmöglich für kommende Generationen bewahrt werden können, sei stets individuell zu klären.

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Erst am Anfang

Das Argument, dass viele Stücke in westlichen Museen besser aufgehoben seien als in den politisch oft instabilen Herkunftsländern, wird von manchen Kritikern aber als Verlängerung der kolonialen Bevormundung interpretiert. Eine Kulturgut-Rückgabe könne nur Teil einer weiter gefassten Wiedergutmachung sein, bei der der Westen seine ausbeuterische Vergangenheit aufarbeite, schrieb etwa der Kunsthistoriker Sylvester Okwunodu Ogbechie in Reaktion auf Macrons Afrika-Ankündigung.

An den Kulturgütern hängen zweifellos komplexe Fragen juristischer, politischer, symbolischer und museumstechnischer Natur. Dass sich die Museumswelt pauschal gegen eine Aufarbeitung verwehren würde, lässt sich allerdings nicht mehr behaupten. „Kein Museum kann sich mehr leisten zu sagen: Wir machen weiter wie bisher“, bekräftigt Haag. „Die Debatte ist ein Prüfstein für alle Museen, die Kulturpolitik und letztlich auch für die internationalen Netzwerke.“

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