Kultur

Kunsthalle Wien: Striptease vor Möbeln

Im Kern ist es eine Fotoausstellung, doch das vielsagendste Exponat ist ein Säulenkapitell aus Gips: Das Objekt, das an einer Wand des "project space" der Kunsthalle Wien hängt, läuft auf einer Seite in eine ionische Schnecke, auf der anderen in eine weibliche Brust aus.
Der Turiner Architekt, Designer und Tausendsassa Carlo Mollino (1905-1973) hatte das sexuell aufgeladene Architekturfragment 1936 ersonnen. Es wirkt wie sein Credo: Ob er nun baute oder fotografierte, Möbel designte oder Häuser einrichtete, immer wieder kam er auf den weiblichen Körper als das Maß aller Dinge zurück.

Polaroids

Die Auswahl aus Mollinos rund 1300 Bilder umfassender Polaroid-Sammlung, die den Kern der Ausstellung bildet (bis 25. September), ist im Licht dieses Gesamtwerks zu sehen. Es waren eben nicht bloß erotische Vergnügungen eines alleinstehenden reifen Herrn, der 1953 eine große Erbschaft gemacht hatte und sich fortan Hobbys wie Kunstflug und Autorennen leistete: Mollino richtete für die Aufnahmen ein eigenes Atelier ein, wählte die Kleider für seine Modelle mit künstlerischen Hintergedanken aus und inszenierte die Frauen vor Möbeln, die er selbst designt oder seinem opulenten ästhetischen Kosmos entlehnt hatte.

Als Universalkünstler wird Mollino seit einigen Jahren wieder entdeckt. Wie Leonardo da Vinci entwarf der Italiener u. a. Flugmaschinen und gestaltete zuletzt eine Wohnung voll kunstvoller Fliesen, Antiquitäten und konservierter Schmetterlinge, die er aber nie bewohnte: Sie war, ähnlich wie die Grabkammer eines Pharaos, für sein "Nachleben" gedacht.

Die kleine Schau der Kunsthalle Wien kann mit Fotos und Versatzstücken aus Mollinos Kosmos gerade die Oberfläche dieses faszinierenden Werks ankratzen. Die große Mollino-Retrospektive, die ab 16. September im Haus der Kunst München zu sehen sein wird, wäre aber durchaus eine Reise wert.

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