Kultur

Das "System Matt": Alles erlaubt

Der Kontrollamtsbericht der Stadt Wien, der letzte Baustein zu einer möglichst objektiven Beurteilung der Vorwürfe gegen Gerald Matt, ist veröffentlicht. Und noch immer klafft ein tiefes Loch zwischen zwei unterschiedlichen Sichten jener Affäre, die den inzwischen zurückgetretenen Direktor der Kunsthalle Wien 2011 erstmals in Bedrängnis brachte.

Matt wurde vorgeworfen, Kunsthallen-Mitarbeiter für private Zwecke eingesetzt, hohe Telefonkosten und ausufernde Dienstreisen angehäuft, autoritären Umgang mit Mitarbeitern gepflegt und für Sponsoren in Sachen Staatsbürgerschaften interveniert zu haben.

Und nach den Maßstäben des „Systems Matt“ – also jener Vereinsstruktur, die dem Ex-Direktor umfangreiche Reisen, Nebentätigkeiten und Erfolgsprämien zugestand – hat sich Matt tatsächlich nichts zu Schulden kommen lassen.

Dass dies aus Sicht der Kulturpolitik – und des Steuerzahlers – nicht so eindeutig ist, darüber spricht der Kontrollamtsbericht aber klare Worte: Die in Matts Dienstvertrag vorgesehene Zulässigkeit einer Nebentätigkeit im Ausmaß von bis zu 15 % der Gesamtarbeitszeit und die Erlaubnis zur Nutzung von betrieblichen Ressourcen im Rahmen dieser Tätigkeit „sollten in Zukunft vermieden werden“, heißt es mehrmals im Bericht.

Rückforderung

Die Prüfer stoßen sich auch an Erfolgsprämien, die Matt und andere leitende Angestellte konsumierten. Der Umgang des Vereines mit Prämien ging „zu Lasten des Förderungsgebers“. Die Stadt Wien will nun prüfen, ob diese Prämien zumindest zum Teil zurückgefordert werden können.

Sonst jedoch war Matts Vertrag derart gestaltet, dass die Kritik an seiner Amtsführung keine weiteren Konsequenzen nach sich ziehen dürfte. Telefonkosten von bis zu 16.100 Euro pro Jahr etwa sind vielleicht nicht „wirtschaftlich und sparsam“. Aber da es im Vertrag kein Limit für derartige Kosten gibt, auch folgenlos.

Ebenso vom Verein gebilligt waren bis zu 32 Dienstreisen pro Jahr, mit insgesamt bis zu 58.000 Euro Kosten, und der Zuwachs bei Dienstreisen um 62 Prozent (2002 versus 2011). Der Ex-Vorstand des Kunsthallen-Vereins, Thomas Häusle, sieht daher durch den Kontrollamtsbericht die „erfolgreiche wirtschaftliche und künstlerische Führung der Kunsthalle Wien bestätigt“.

Mit dem Kontrollamt deckt sich die Sicht aber nicht immer: Man ist etwa über den Eigendeckungsgrad 2011 (laut Verein 31,9%, laut Kontrollamt 25,9%) ebenso uneins wie über den Bilanzverlust 2007, der laut Kontrollamt nicht durch Rücklagen gedeckt war.

Und der Behauptung der Kunsthalle, der amtsführende Stadtrat und die Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7) hätten Matts Verträge samt der kritisierten Nebentätigkeits-Klausel gekannt, widerspricht die MA 7 in einer Stellungnahme geradeheraus: „Verträge mit Funktionsträgern wurden der Stadt Wien nicht übermittelt.“

Die Nebentätigkeiten Matts hatten mehrmals Anstoß zur Kritik gegeben (siehe Chronologie rechts). Das Kontrollamt zitiert eine Mitarbeiterin, die an der Realisierung von zwei Ausstellungen im Parlament gearbeitet hatte: „Sie gab einen Zeitaufwand von geschätzt vier Monaten Vollzeit an.“ Das Kontrollamt nahm aber von einer Bewertung Abstand, ob Matt den Rahmen von 15% der Arbeitszeit überschritt oder Mitarbeiter privat über Gebühr beschäftigte. Es konnte „nicht mit der gebotenen Sicherheit“ festgestellt werden, welche der „widersprüchlichen Aussagen“ der „Wahrheit entsprechen“.

Politik

Nach der Aufregung um die enge Verflechtung des ehemaligen Vereinsvorstands mit Matt wurde die Kunsthalle als GmbH neu gegründet.

Das Kontrollamt begrüßt dies, dokumentiert aber: Es hat diese Umorganisation bereits 2003 empfohlen, was aber vom Verein abgeblockt und von der Kulturpolitik nicht durchgesetzt wurde.

Häusle gab nach der Einstellung der Strafermittlungen gegen Matt zu Protokoll: „Das ganze wäre nicht notwendig gewesen.“

Die Kulturpolitik aber sieht Handlungsbedarf: Prämienzahlungen und 15-Prozent-Klauseln, so die MA 7, gebe es im Vertrag des neuen Leiters nicht mehr.

9. April 2011 Erstmals werden Vorwürfe gegen Gerald Matt laut, wonach dieser Mitarbeiter seines Hauses für private Aufträge eingesetzt haben soll. Es geht um zwei Ausstellungen im Hohen Haus und ein Interviewbuch, darüber hinaus um ein privates Buchprojekt und zwei Austellungen in New York.

29. April Es werden Vorwürfe laut, wonach Matt versucht haben soll, ausländische Sponsoren mit der Aussicht auf österreichische Staatsbürgerschaften zu gewinnen. Die Wiener ÖVP bringt am 8. Mai deshalb Anzeige ein.

17. Mai Die Kunsthalle bringt eine Anzeige wegen Datendiebstahls ein. Darauf aufmerksam geworden sei man durch eine interne Terminabsage, die vom Mail-Account des Grünen Wolfgang Zinggl versendet wurde.

31. Mai Die Kunsthalle entlässt den früheren Chefkurator Thomas Mießgang. Er ficht die Entlassung an und erzielt einen Vergleich.

Jänner 2012 Matt wird für drei Monate frei gestellt.

26. Jänner Die Kunsthalle wird von einem Verein in eine GmbH überführt, die Tochtergesellschaft KÖR der Stadt unterstellt. Wirtschaftsprüfer durchleuchten mögliche Risken der Übernahme.

9. März 47 von 54 Mitarbeitern der Kunsthalle unterschreiben eine Erklärung, in der Matt das Misstrauen ausgesprochen wird.

23. März Gerald Matt tritt von seinem Amt zurück.

14. Juni Nicolaus Schafhausen wird zum neuen künstlerischen Leiter bestellt.

7. Dezember Die Staatsanwaltschaft stellt ihr Verfahren gegen Matt, die Ex-Geschäftsführerin und den Ex-Vereinsvorstand wegen Verdachts auf Untreue und verbotene Intervention ein. Matt stehen so zwei Drittel seines Gehalts (bis 2014) zu.