Kunstfund: Heftige Kritik an Ermittlern
Von Georg Leyrer
Wenige Tage nach Bekanntwerden des Münchner Kunstfundes drohen sowohl die kunsthistorische Bedeutung des Fundes als auch die Fragen nach den rechtmäßigen Besitzern in allseitiger Disharmonie unterzugehen.
In die scharfe Kritik an den deutschen Behörden wegen fehlender Transparenz mischt sich zunehmend eine neue Forderung: Namhafte Experten stellen eine Rückgabe der Sammlung in den Raum, und zwar nicht an die Erben, sondern an Sammlersohn Cornelius Gurlitt.
So sagte etwa Eva Blimlinger, Uni-Rektorin und wissenschaftliche Koordinatorin der Kommission für Provenienzforschung, bei einer Ö1-Diskussion: Stelle sich heraus, dass Gurlitt der rechtmäßige Eigentümer sei, wovon derzeit ausgegangen werden müsse, „dann kann er sich die Bilder wieder in seine Wohnung stellen und Ende der Debatte“.
„Etwas stimmt da nicht“, sagte auch der immer wieder mit Restitutionsfällen betraute Rechtsanwalt Alfred Noll. Es wundere ihn, „dass es überhaupt zu einer Beschlagnahme kommen konnte“, zumal die Steuerschuld noch keinen rechtskräftigen Exekutions-Titel begründet hätte.
Beweismittel
Der KURIER fragte bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Augsburg nach.
Die steht im Kreuzfeuer der durchaus heftigen Kritik: „Man muss das rasch diesen Provinzclowns wegnehmen, die offenbar nicht wissen, was jetzt alles abzuhandeln ist“, sagt etwa der Direktor der Wiener Albertina, Klaus Albrecht Schröder, zur APA. Das US-Außenministerium drängt auf mehr Transparenz, die deutsche Bundesregierung sprach sich dafür aus, die Recherche rund um die Werke zu beschleunigen.
Die 1406 Werke sind, beharrt die Staatsanwaltschaft auf ihrer in einer Pressekonferenz geäußerten Position, auf Grund eines Gerichtsbeschlusses als Beweismittel beschlagnahmt worden, wobei es ursprünglich lediglich um Verstöße gegen die Abgabeordnung ging. Erst nach der Beschlagnahme ergab sich der Verdacht auf ein Vermögensdelikt, konkret der Unterschlagung.
Eine derartige Unterschlagung müsste zwar nach Ansicht vieler Experten längst verjährt sein. Doch in Augsburg verweist man auf die Möglichkeit, Beweise auf etwaige Vermögensdelikte zu finden, die nicht verjährt sind. Man wolle die Provenienz der Bilder nachvollziehen, um festzustellen, wer Rechte an welchen Bildern hat, und um etwaige Geschädigte zu verständigen.
Abseits der strikten Rechtsfragen gibt es auch die Möglichkeit, dass Gurlitt einer Rückgabe an die Erben der ursprünglichen Besitzer von sich aus zustimmt.
Eine offene Frage in der Causa bleibt das Haus Gurlitts in Salzburg. Die deutschen Behörden vertreten nach wie vor die Ansicht, dass es keinen Hinweis auf weitere Kunst-Depots über die Münchner Wohnung hinaus gibt. Das österreichische Finanzministerium verweist auf KURIER-Anfrage auf die „abgabenrechtliche Geheimhaltungspflicht“, hält aber fest: „Selbstverständlich steht die österreichische Finanzverwaltung mit der deutschen Finanz in Kontakt.“
Der spektakuläre Kunstfund in München ist für Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder „ein Schock“ gewesen. „Natürlich hat das niemand gewusst“, widersprach er gegenüber der APA seinem Kollegen, dem Kunsthistoriker Alfred Weidinger. „Es gab keinen Grund, daran zu zweifeln, dass die Sammlung verbrannt war.“ Vor allem was die Rechtslage angeht müssten nun allerdings „radikale Fragen“ gestellt werden, so Schröder, der auch scharfe Kritik an den zuständigen Behörden übte: „Man muss das rasch diesen Provinzclowns wegnehmen, die offenbar nicht wissen, was jetzt alles abzuhandeln ist.“
Dass die Familie Gurlitt Bilder besaß, sei natürlich klar gewesen, „sie waren ja wichtige Kunsthändler seit den 1910er Jahren, auch solcher Werke, die später als verfemt galten“. Insofern seien auch spätere Verkäufe über Auktionshäuser „völlig glaubwürdig“ gewesen.
Die Bedeutung des Fundes für die Kunstgeschichte dürfe man nicht übertreiben - „sie muss nicht neu geschrieben werden, unser Bild von Matisse und Chagall wird sich nicht grundlegend ändern“. Die wichtigsten Fragen, die der Fall aufwerfe, seien stattdessen rechtlicher Natur. „Es ist schon seltsam, dass man in Deutschland das Reichsgesetz über die Beschlagnahmung entarteter Kunst aus den eigenen Museen nie für nichtig erklärt hat“, gibt Schröder zu bedenken.
Auch über die Verjährung müsse man nachdenken. „Gurlitt hatte eindeutig ein Unrechtsbewusstsein. Wenn sich ein Nutznießer eines Deals mit dem Teufel nur lang genug ducken muss, bis es verjährt ist, ist das kaum zu rechtfertigen.“ Stattdessen müsse hier eine „weltweit einheitliche Linie“ gefunden werden. Denkbar wäre für Schröder etwa, dass man die Verjährungsfrist noch einmal verlängert, sie aber ab einem bestimmten Zeitpunkt für alle Restitutionsfälle in Kraft setzt, „um Rechtssicherheit zu geben“.
Heftige Kritik übte Schröder an den zuständigen Behörden. „Zwei Jahre lang nicht zu erkennen, dass das zu Recht von höchstem öffentlichen Interesse ist, ist völlig inakzeptabel.“ Die mit dem Fund beauftragte Kunsthistorikerin Meike Hoffmann sei offensichtlich „völlig überfordert und gehört sofort abgezogen“, so Schröder. „Wenn jemand so lange nicht erkennt, was er da in den Händen hält und was für Fragen sich hier in radikaler Weise auftun, dann ist er für diese Aufgabe in jeder Weise ungeeignet.“