Kunstfund: Alliierte hatten nach Krieg Werke beschlagnahmt
Von Georg Leyrer
Die Alliierten hatten nach Ende des Zweiten Weltkrieges mehr als 100 Werke aus jener sensationellen Kunst-Sammlung beschlagnahmt, die nun in München gefunden wurde. Und sie haben die Werke dann - nach einer Rückforderung Hildebrand Gurlitts - 1950 auch wieder zurückgegeben. Lediglich bei zwei Bildern wurde die Rückgabe verweigert. Diese berichtet die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf Befragungsprotokolle rund um Gurlitts Rolle in der NS-Zeit. Dass die Alliierten offenbar von rechtmäßigen Besitz Gurlitts ausgingen, wird wohl in der Bewertung der Sammlung eine Rolle spielen.
Unbekannte Werke
In der am Dienstag erstmals in Details offiziell präsentierten Sammlung sind unbekannte Werke unter anderem von Marc Chagall und Otto Dix (etwa ein Selbstporträt aus dem Jahr 1919) sind unter den 1406 Kunstwerken, die in einer Münchner Privatwohnung gefunden wurden.
Dazu noch weitere Meisterwerke der klassischen Moderne, auch Kunst früherer Epochen (bis zurück ins 16. Jahrhundert). Entgegen den Befürchtungen waren diese fachgerecht gelagert und sind zwar teils verschmutzt, aber in gutem Zustand.
Der Wert wurde ursprünglich mit einer Milliarde Euro angegeben, nun gilt er als unschätzbar.
Einig ist man: Die Sammlung ist eine einzigartige, in ihrer Dimension kaum erfassbare Entdeckung. Doch nach der ersten offiziellen Stellungnahme der ermittelnden Behörden (für viele Erben kam dieses Statement eindeutig zu spät) waren rund um den Sensationsfund weit mehr Fragen offen als zuvor.
Schelte mussten die Ermittler dafür einstecken, dass es bisher keine vollständige, öffentlich zugängliche Liste der Sammlung (wie in vergleichbaren Fällen üblich) gibt. So bleibt weiter unklar, in welchem Ausmaß es sich bei der wohl vorwiegend während der NS-Zeit entstandenen Sammlung um Raubkunst handelt.
Salzburger Ablehnung
Weit weniger spektakulär als die gefundenen Kunstwerke sind daher derzeit die rechtlichen Fragen rund um den Fall. Dies machte auch die Reaktion der Salzburger Behörden auf ein Rechtshilfeansuchen ihrer deutschen Kollegen deutlich: Die Salzburger haben es im Vorjahr abgelehnt, das Haus von Cornelius Gurlitt, dem Sohn des während der NS-Zeit tätigen Kunstsammlers Hildebrand Gurlitt, in einer Salzburger Nobelgegend zu durchsuchen. Denn derzeit geht es in dem Fall rein rechtlich nur um Steuervergehen.
So blieb es bei (durchaus lustvollen) Spekulationen, ob im Salzburger Wohnhaus vor Auffliegen des geheimen Münchner Verstecks vielleicht auch wertvolle Kunst gelagert war. Nachbarn wurden von heimischen und internationalen Medien interviewt und erzählten vom verschlossenen Hausbesitzer.
Die deutschen Ermittler jedenfalls dementieren: Sie gehen nicht davon aus, dass Gurlitt – er soll einen österreichischen Pass besitzen – noch anderswo als in seiner Münchner Wohnung Kunstwerke aufbewahrt hatte.
Aufarbeitung
Im Fall selbst kollidieren jetzt die verschiedenen Geschwindigkeiten von Wissenschaft, Medien und Erben.
Die Berliner Kunsthistorikerin Meike Hoffmann steht, eineinhalb Jahre nach der Entdeckung der Sammlung am 28. Februar 2012 (nicht 2011, wie bisher berichtet), mit ihren Forschungen noch am Beginn. Dass diese „noch lange dauern“ werden, wollen weder Erben noch Medien gerne hören. Ebenso wenig, dass die Sammlung auch künftig nicht öffentlich gemacht werden soll.
Diese Geheimhaltung „ist unglaublich“, sagte der Berliner Rechtsanwalt und Kunstexperte Peter Raue. Die Begründung, wonach man erst habe klären wollen, wem die Kunstwerke gehörten, sei „nachgerade dreist“, sagte Raue im Deutschlandradio Kultur.
Eine öffentliche Liste der Werke „ist für uns kontraproduktiv“, meinte jedoch Reinhard Nemetz, Leitender Oberstaatsanwalt in Augsburg. „Die Ermittlungen werden gefährdet, die Kunstwerke werden gefährdet.“ Hoffmann meinte, dass einige Werke wohl nicht zugeordnet werden können. Eine eventuelle Rückgabe an Erben ist somit noch weit entfernt.
Unbekannt
Wo Gurlitt derzeit ist, ist nicht bekannt. „Ich weiß nicht, wo er sich aufhält, weil uns diese Frage gar nicht beschäftigt“, sagte Nemetz. „Das bedeutet nicht, dass er unauffindbar ist.“
Der Münchner Kunstfund ist für Alfred Weidinger, Vizedirektor des Wiener Belvedere, alles andere als eine Überraschung: „Das ist alles ziemlich aufgeblasen. Dass diese Sammlung existiert, das war kein Geheimnis. Im Grunde genommen hat jeder wichtige Kunsthändler im süddeutschen Raum gewusst, dass es das gibt - auch in der Dimension“, unterstrich der Experte für die klassische Moderne im APA-Gespräch.
Weidinger sieht dabei vor allem die Restitutionsforscher in der Schuld: „Jetzt wird es so dargestellt als wäre das die große Sensation, die große Entdeckung - gewusst hat das jeder.“ Hätten die Restitutionsforscher richtig gearbeitet, wären sie bereits bedeutend früher darauf gekommen, so der Experte. „Das Problem in der Restitutionsforschung ist, dass sie nicht präzise genug sind. Jetzt von einer großen Entdeckung zu sprechen, ist geradezu lächerlich. Wenn ein Restitutionsforscher ordentlich arbeitet, ist es kein Geheimnis, den Spuren der Familie Gurlitt nachzugehen - in keiner Art und Weise. Jeder, der von der Familie noch lebt, steht im Telefonbuch! Wenn man im Jahr 2013 darauf kommt, dass es in München die Sammlung Gurlitt gibt, dann haben die ihren Job nicht richtig gemacht.“
Eine Erklärung für das Vorgehen der Behörden und den Umgang mit der Öffentlichkeit hat der Kunsthistoriker ebenfalls: „Ich glaube, da wollen sich Leute wichtig machen. Da kommt plötzlich eine Kunsthistorikerin daher, die mit einem Male als die große Entdeckerin gilt - das ist lächerlich!“ Er persönlich glaube jedenfalls nicht, dass sich noch weitere Gurlitt-Werke in Österreich
Die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim wollen den spektakulären Münchner Kunstfund nach weiteren Arbeiten aus dem ehemaligen Flechtheim-Besitz überprüfen lassen. Es bestehe der begründete Verdacht, dass in der jetzt entdeckten Sammlung Gurlitt noch mehr Werke aus dem unter NS-Druck aufgelösten Flechtheim-Bestand seien, erklärten die beiden Erben nach Angaben ihres Anwalts Markus Stötzel am Dienstag.
Die Erben, der in den USA lebende Michael Hulton und seine Stiefmutter, verwiesen auf das Bild „Löwenbändiger“ von Max Beckmann. Der Gurlitt-Sohn Cornelius hatte es 2011 über das Kölner Auktionhaus Lempertz versteigern lassen wollen. Nachdem die Experten dort jedoch auf die Herkunft aufmerksam wurden, brachten sie zuvor eine Einigung zwischen Gurlitt und den Flechtheim-Erben auf den Weg.
Die Guache sei nachweislich erst 1934 in die Sammlung von Gurlitts Vater Hildebrand gekommen, so Hulton. Das widerlege die Position der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, nach der Flechtheim seinen gesamten Beckmann-Bestand schon 1932 verkauft haben soll. Die Erben streiten seit Jahren mit den Gemäldesammlungen um sechs Beckmann-Werke. Wenn diese Arbeiten erst nach 1933 veräußert worden wären, würden sie als NS-verfolgungsbedingtes Raubgut gelten und müssten rückerstattet werden.
Nach Angaben des Augsburger Oberstaatsanwalts Reinhard Nemetz beschlagnahmten die Behörden 1285 ungerahmte und 121 gerahmte Bilder.
Darunter befanden sich Werke von Picasso, Chagall, Marc, Nolde, Spitzweg, Renoir, Macke, Courbet, Beckmann, Matisse, Liebermann, Dix, Kokoschka, Schmidt-Rottluff, Toulouse-Lautrec und Kirchner.
Auf die Spur der Bilder kamen die Ermittler nach einer Personenkontrolle am 22. September 2010 in einem Schnellzug von Zürich nach München. Dabei ergab sich der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat. Ermittelt wird auch wegen möglicher Unterschlagung.