Kunst-Geschichten aus der Zeitkapsel
Von Michael Huber
2013 hängte der Künstler Christian Kosmas Mayer einen Plüschbären in eine Quelle im englischen Knaresborough, deren mineralhaltiges Wasser dafür bekannt war, „Versteinerungen“ herbeizuführen. Der Effekt galt zunächst als magisch, doch schon ab 1630 wurde er touristisch vermarktet.
Auch in Schweden wurde im 18. Jahrhundert die Geschichte eines verunglückten Minenarbeiters bekannt, der mehr als 40 Jahre nach seinem Tod „versteinert“ aufgefunden und von seiner einstigen, mittlerweile hochbetagten Geliebten wieder erkannt wurde.Christian Kosmas Mayer, der im deutschen Sigmaringen geboren wurde und seit seinem Studium an der Wiener Akademie in Österreich lebt, ist ein Meister darin, solche Geschichten in Kunstwerke zu verdichten. Er schafft dabei Situationen, in denen Zeit nahezu physisch greifbar wird. „Ich sehe es nicht so, dass die Geschichte jemals abgeschlossen ist“, sagt der 42-Jährige, der seit 2012 auch beständig Presseartikel sammelt, in denen von vergrabenen Zeitkapseln berichtet wird. Mayer vergrub 2015 selbst eine solche in Los Angeles, dazu gestaltet er Installationen, Filme, Ausstellungen.
In Wien ist Mayers Werk derzeit in zwei Institutionen zu erleben: Im mumok, dessen bergwerksartige Architektur für den Künstler gut zur Geschichte des schwedischen Minenarbeiters passte, baute Mayer selbst eine Versteinerungsquelle nach. Bis zum 16. Juni plätschert dort beständig speziell präpariertes Wasser über eine Kaskade bereits halb versteinerter Plüschbären, -Lämmer und anderer Tiere.
Für eine zweite Präsentation holte der Künstler spezielle Samen und Pflanzensprossen aus russischen Forschungslabors: Auf Basis von Funden aus den Permafrostböden der Tundra wird dort versucht, die prähistorische Pflanzenwelt wieder heranzuzüchten. Ein anderes Forscherteam, deren Werk Mayer in diesem Rahmen in Schaukästen unter purpurnem Licht vorstellt, ist zuversichtlich, in absehbarer Zeit wieder Mammuts in der Tundra grasen zu lassen; die DNA wurde aus mumifizierten Tierkadavern isoliert.
Aktivierte Vergangenheit
In der Populärkultur kennt man solche Geschichten etwa aus „Jurassic Park“. Doch Mayer sieht eine neue Dringlichkeit, abseits der Science-Fiction darüber nachzudenken. „Wir sind im Moment im Begriff, durch technische Mittel jegliches Ende aufzulösen“, sagt er und verweist auf die unter dem Stichwort „Transhumanismus“ geführten Bemühungen, den menschlichen Geist irgendwann in Software zu überführen. Auch die Vergegenwärtigung ausgestorbener Spezies ist durch neue entwickelte Methoden nicht mehr reine Fiktion. „Was macht man, wenn es nichts Vergangenes mehr gibt?“, fragt Mayer. „Da sollte man sich als Menschheit vielleicht überlegen, wie man vorgeht.“
Bei all seinen Anknüpfungspunkten zur (Natur-) Wissenschaft betrachtet sich Mayer aber nicht als Forscher. „Ich sehe mich eher als jemand, der Sachverhalte in körperlich erfahrbare Geschichten übersetzt, die die Wissenschaftssprache so nicht erzählen kann“, sagt er. Um etwa an die Pflanzenproben in der mumok-Schau zu gelangen, war dennoch akribische Vorarbeit nötig.
Fossilien und Fotos
Die Fotografie, auf ihre Art ebenfalls ein „Fossil“ und eine Spur der Zeit, wird unter Mayers Regie ebenfalls als vieldeutiges Objekt fassbar. Als das Bank Austria Kunstforum Mayer bat, die von der einstigen Länderbank zwischen 1976 und 1986 erstellte „Sammlung Fotografis“ neu zu präsentieren, ließ Mayer einige Ikonen der Kollektion – darunter das berühmte Bild eines Krauthappels von Edward Weston – abfotografieren und als Tapete auf die Wand aufziehen (die Schau läuft bis 16.6.).
In der Ausstellung prangt neben diesem Abbild des Bilds nun ein realer Krautkopf, der nach einem Konzept der Bildhauerin Karin Sander an die Wand genagelt wurde: Zu betrachten sind nicht einfach Fotos, sondern ineinander verschränkte Realitätsebenen, die die Frage nach Realität und Abbild, Haltbarkeit und Vergänglichkeit neu stellen. Zumindest diese Fragen sind zeitlos – Christian Kosmas Mayer stellt sie bloß auf zeitgenössische Art.