Kunst für den Zwölfstundentag: Otto-Mauer-Preis für Anna Witt
Arbeiterdenkmäler: Das waren einmal große Plastiken aus Bronze oder Stein, sie zeigten hammerschwingende Männer mit Schiebermützen oder Frauen mit schweren Körben. Aber heute?
Zwischen Auslagerung und Automatisierung, prekären Arbeitsverhältnissen und dem Postulat der „Work-Life-Balance“ ist Arbeit ein ästhetisch schwierig zu fassender Begriff geworden. Hier hat die Künstlerin Anna Witt ihr Betätigungsfeld mit Videos, Performances und Installationen gefunden. Heute, Mittwoch, erhält sie dafür den Otto-Mauer-Preis, die wichtigste Auszeichnung für in Österreich tätige Kunstschaffende unter 40 Jahren: „In der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Situation erscheint der Jury die künstlerische Position von Anna Witt besonders unterstützenswert“, heißt es in der Begründung.
Die Faust recken
Anna Witts Arbeit ist hoch politisch – agitatorisch ist sie jedoch nicht. „Es geht mir darum, eine Plattform zu schaffen, auf der bestimmte Fragen ausverhandelt werden“, sagt die im bayrischen Wasserburg geborene Künstlerin. Witt schafft dazu Versuchsanordnungen, die ständig auf die Mitarbeit von oft zufällig ausgewählten Akteuren bauen: In ihrem Video „Gleitzeit“ (2010) bat sie etwa Passanten, vor der Kamera ihre Faust in die Höhe zu recken – wie lange sie die traditionelle Arbeitskampf-Pose einnahmen, entschieden die Mitwirkenden selbst.
Witts Interesse an der Arbeitsthematik erwachte 2005, als sie von München nach Wien übersiedelte und die Bauten und Monumente des „roten Wien“ kennen lernte. Zugleich war die Studentin der „performativen Bildhauerei“ an der Akademie der bildenden Künste (Klasse Monica Bonvicini) ständig mit dem Thema der Prekarisierung konfrontiert: „Als Künstler ist man ja das Paradebeispiel für ein zeitgenössisches Arbeitsmodell – man ist flexibel, lebt prekär und kennt keine Grenzen“, sagt Witt. „Ich habe mich seit dem ersten Semester wie eine Ich-AG gefühlt.“
Doch Witt blickt auch stets in andere Lebenswelten: So schuf sie 2016 ein Porträt von Berliner Sexarbeiterinnen, indem sie den Herzschlag von Prostituierten auf der Straße aufnahm und Gogo-Tänzerinnen in einem Nachtclub zu diesem „Beat“ tanzen ließ. Für eine Ausstellung im Belvedere 21 im vergangenen Frühjahr holte sie eine Gymnastik-Truppe in die Büroräume des Erste Campus am ehemaligen Südbahnhof-Gelände: Fix zugeteilte Arbeitstische wurden dort im Dienst optimaler Platznutzung durch Büromöbel ersetzt, die sich Mitarbeiter je nach Bedarf teilen; Witt wies die Turner an, sich die Stühle und Bänke als Fitness-Requisiten anzueignen. Im fertigen Video wechselten sich Aufnahmen davon mit Bildern von Bauarbeitern ab, die nebenan an neuen Türmen schufteten: „Man merkt, die bauen grade an etwas, von dem sie selbst noch nicht wissen, was das genau ist“, sagt Witt, die im neuen Stadtgebiet auch die neuartige Verschränkung von öffentlichem Raum und Firmen-Territorium bemerkte.
Nicht gut gemeint
Witt recherchiert viel für ihre Projekte, oft muss sie sich erst das Vertrauen der Mitwirkenden erarbeiten. Ein Ziel sei, dass ihre Arbeit nicht „gut gemeint“ wirke: Sie möchte nicht in die Reihe der Künstler, Literaten oder Journalisten treten, die mitleidig oder romantisch-verklärend auf die Arbeitswelt schauen.
Wenn sie ihre Projekte klug plane, sagt Witt, ergebe sich aber für Mitwirkende wie für Betrachter die Möglichkeit, die eigene Situation zu reflektieren und auch utopisch darüber hinaus zu blicken. „Der böse Fabrikchef und die Arbeiterschaft, die solidarisch für ihr Ziel kämpft, existiert ja so nicht mehr“, sagt die Künstlerin. „Es ist vielleicht für viele auch gut, freier und flexibler zu arbeiten. Generell ist es aber interessant, sich damit auseinander zu setzen, welche Machtmechanismen heute zum Tragen kommen.“