Der Attersee von Finnland: Belvedere zeigt Akseli Gallen-Kallela
Von Michael Huber
Eine Sache, die kunsthistorische Ausstellungen so toll macht, ist die: In kaum einem anderen Format lässt sich durch das bloße Nebeneinander von Bildern oder Dingen so viel erzählen. Geschichten über persönliche Beziehungen, historische Ereignisse und den Geist einer Zeit finden sich da mitunter in einer Ecke eines Ausstellungsraums verdichtet.
In der Orangerie des Unteren Belvedere gelingt dieses Kunststück – wieder einmal, muss man in Erinnerung an so manch ähnlich geartete Ausstellung sagen, die hier historische Verbindungslinien aufflackern ließ. Was ein Finne mit dem Namen Akseli Gallen-Kalela im Annex des Barockpalais zu suchen hat, wird allerdings Besucherinnen und Besuchern ohne Skandinavien-Bezug nicht sofort einleuchten.
Ein Finne in der Kunstmetropole
Tatsächlich war der Künstler, der 1865 als Axel Gallén in eine schwedischsprachige Familie geboren wurde, ein Mann, bei dem viele Fäden der Geschichte zusammenliefen: Internationale Netzwerke der Kunst, die über Landesgrenzen hinaus wirkten und den Künstler zunächst nach Paris und bald auch nach Wien brachten, lassen sich an ihm ebenso festmachen wie nationale Unabhängigkeitsbestrebungen in jener Zeit.
Die Identifikation mit Finnland, das bis 1917 Teil des russischen Zarenreichs war, veranlasste den Künstler auch dazu, sich ab 1907 „Akseli Gallen-Kallela“ zu nennen. Der Beinamen „Kallela“ stammte dabei von jenem abgelegenen Ort, an den sich der Künstler zum Arbeiten zurückzog: Eine Parallele wäre wohl der österreichische Maler Christian Ludwig, der seinen Namen ebenfalls um die Bezeichnung seines persönlichen Kraftorts – den Attersee – erweiterte.
Mit allen Sinnen in der Fauna
Der schöne Schüttelreim „Mit allen Sinnen in der Fauna/Mit allen Finnen in der Sauna“ (Copyright Süddeutsche Zeitung) scheint jedenfalls zu passend, um an dieser Stelle nicht zitiert zu werden: Denn wenngleich Akseli Gallen-Kallela aus seiner Einsiedelei Kraft schöpfte und gern verlorene Naturlandschaften malte, war er mit einigen skandinavischen Kollegen äußerst umtriebig und in mondänen Kunstzirkeln seiner Zeit unterwegs. Bereits 1901 wurde sein Gemälde „Frühjahr“ für die Moderne Galerie, den Vorläufer des heutigen Belvedere, angekauft.
Ein Auftritt bei der 19. Ausstellung der Secession in Wien 1904, an den der Künstler einen dreimonatigen Studienaufenthalt anhängte, muss dann sehr erfolgreich gewesen sein: Nicht nur freundete er sich mit Gustav Klimt und der Salonnière Berta Zuckerkandl an – die Bilder, die er in der Secession ausstellte, fanden auch prominente Käufer, darunter die Mäzenatenfamilie Wittgenstein (ein Gemälde, „Herbst“, ging später in den Besitz des Philosophen Ludwig Wittgenstein über).
Inspiration Klimt
Der Schau gelingt es nicht nur, viele der Bilder, die damals Seite an Seite hingen, wieder in einen Raum zu bringen – einige Bildpaarungen können auch die Inspirationsfunken, die in jener Zeit zwischen den Schöpfern der Werke geflogen sein müssen, wieder vergegenwärtigen.
Hochinteressant ist etwa die Gegenüberstellung einer Attersee-Darstellung von Gustav Klimt aus dem Jahr 1900 (zu sehen sind dort nur die Oberfläche des Sees und eine kleine Insel am oberen Bildrand) mit der Darstellung, die Gallen-Kallela 1904 vom Keitele-See in seiner finnischen Heimat anfertigte: Auch hier wird das Naturschauspiel zum fast abstrakten Bildereignis, die dynamischen Striche könnten Bugwellen von Schiffen darstellen, aber auch überhaupt keine reale Entsprechung mehr haben.
Umgekehrt legt die Schau nahe, dass das Bildnis eines Armbrustschützen mit entschlossenem Blick, das Gallen-Kalela in der Secessions-Zeitschrift „Ver Sacrum“ publizierte, den Ritter (oder „wohlgerüsteten Starken“) in Klimts Beethoven-Fries inspiriert haben könnte.
Mythen im Manga-Stil
Umgekehrt legt die Schau nahe, dass das Bildnis eines Armbrustschützen mit entschlossenem Blick, das Gallen-Kalela in der Secessions-Zeitschrift Ver Sacrum publizierte, den Ritter in Klimts Beethoven-Fries („Der wohlgerüstete Starke“ genannt) inspiriert haben könnte. Das Bild dieses Schützen stammt aus einer Reihe von Illustrationen, die Gallen-Kallela zum finnischen Nationalepos „Kalevala“ anfertigte: Es sind Werke, die seinen Status als Finnlands Nationalmaler zementierten.
Diese Bilder schlagen eine Brücke zurück zu der Ausstellung „In the Eye of the Storm“, in der das Belvedere im ersten Halbjahr 2024 Werke aus Museen der Ukraine zeigte. Das Land, das wie Finnland 1917 seine Unabhängigkeit proklamierte, suchte für seine Eigenständigkeitsbemühungen ebenfalls neue Ausdrucksformen – und wurde bei den Secessionsbewegungen fündig. Die Frage, wo künstlerische und politische Erneuerung einander unterstützen und wo eine Kraft die andere vereinnahmt, hallt so nach Besuch der Schau unweigerlich nach.
Zur Person
Akseli Gallen-Kallela, 1865 als Axel Gallén geboren, absolvierte sein Kunststudium in Paris und reiste viel. Er stellte seine Kunst stark in den Dienst der Bildung einer finnischen Identität. Seine Fresken zum Kalevala-Mythos im Nationalmuseum Helsinki wurden 1928 vollendet, 1931 starb der Künstler
Die Ausstellung
„Akseli Gallen-Kallela. Finnland erfinden“ ist bis 2. 2. 2025 in der Orangerie des Unteren Belvedere zu sehen. Im Fokus
stehen die Wien-Bezüge im Werk des Künstlers