Kultur

Konzeptkunst trifft Castingshow

Je nach Blickwinkel könnte man Melton Barker als Medienpionier, als Konzeptkünstler oder auch einfach als fahrenden Clown bezeichnen.

Der Amerikaner, der von 1903 bis 1977 in den Südstaaten lebte, drehte in 40 Jahren geschätzte 300-mal denselben Film: "Kidnapper’s Foil", ein kleines Drama, in dem ein Mädchen entführt wird und eine "Gang" anderer Kinder sich aufmacht, um sie und ihre Geiselnehmer zu finden.

Laiendarsteller

15 dieser Filme haben sich erhalten, sie laufen nun in einer Videoinstallation des kanadischen Künstlers Gareth Long bis 18. 1. in der Kunsthalle Wien parallel ab. Jedes Mal sind die Darsteller und die Szenerien andere, manche Versionen des Films dauern fast doppelt so lang wie andere. Denn Barker tingelte durch kleine Dörfer und Städte und rekrutierte die "Stars" seines Films stets aus der lokalen Bevölkerung: Das Versprechen, sich selbst einmal auf einer großen Leinwand sehen zu können, motivierte die meisten Landkinder schnell dazu, sich gegen eine Gebühr von ein paar Dollar bei Barkers Produktionsfirma einschreiben zu lassen.

Selbstinszenierung

Um die Lust an der Selbstinszenierung noch weiter anzuheizen, ließ Barker seinen Film stets mit einer "Talentshow" enden: Um die Befreiung des entführten Mädchens zu feiern, durften singende Cowboykinder, Steptänzerinnen und beherzte junge Sängerinnen in Oklahoma, Tennessee oder Texas ihr Können vor der Kamera unter Beweis stellen. In der Ära der Supertalent-Shows klingt das irgendwie vertraut.

Auch Gareth Long möchte mit seinem medienarchäologischen Fund verdeutlichen, dass die Triebkraft hinter den diversen Casting-Shows, den "Selfies" und selbstgedrehten YouTube-Clips von heute eine lange Geschichte hat, vielleicht sogar eine kulturelle Konstante ist.

In dem Arrangement aus Projektionswänden, die im Erdgeschoss der Kunsthalle im MuseumsQuartier eine Vielzahl von vergleichenden Blicken erlauben, vermittelt sich diese Einsicht gut. Lokale und zeitliche Unterschiede werden in den zwischen 1936 und 1952 gedrehten Streifen deutlich, die Schauspiel- und Tonqualität ist freilich durchgehend mies.

Aber Gareth Long geht es nicht nur um den dokumentarischen Charakter der Filme, er stellt auch seine eigene Rolle zur Debatte: Indem er Gefundenes neu arrangiert, entfernt sich Long vom Verständnis, dass ein Künstler stets neue Bilder oder Skulpturen schaffen muss.

Dass die Grenzen zwischen der Arbeit von Künstlern, Kuratoren und Archivaren verschwimmen, ist allerdings ein generelles Phänomen in der konzeptbasierten Kunst der vergangenen Jahre. Auf ihren Schauplätzen, etwa der "Documenta" , wäre "Kidnapper’s Foil" auch gut aufgehoben.