Kultur

KHM: Liebe Kunst, wir bleiben im Gespräch

Was ist ein kunsthistorisches Museum? Eine Antwort könnte lauten: Ein Archiv kultureller Errungenschaften, geordnet nach Kriterien, die sich aus der Kunstgeschichtsschreibung ergeben. So gibt es in der Gemäldegalerie des Wiener KHM den Tizian-Saal, den Rubens-Saal und Räume für venezianische und spanische Malerei.

Nun aber hängt neben Tintorettos "Susanna im Bade" ein ganz neues Bild des afroamerikanischen Künstlers Kerry James Marshall. Und im Rubens-Saal drängt sich "Iris II" (1972/’73), Maria Lassnigs Bildnis einer nackten, fülligen Frau, neben die prominenteste nackte füllige Frau der neuzeitlichen Kunst, Helena Fourment in Rubens’ "Pelzchen" (1636/’38).

Fremd und vertraut

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Es ist eine Art der Subversion, ja Konfrontation. Doch was sich wirklich ins Museumeingeschlichen hat, ist ein anderes Geschichtsverständnis: Jenseits von Herkunftsländern und "Schulen" entwickelte sich Kunst stets auch entlang bildnerischer Qualitäten, wiederkehrender Themen oder durch den Funkenflug der Inspiration.

Der Kurator Jasper Sharp, der 2011 ans Haus geholt worden war, um ein Programm für moderne und zeitgenössische Kunst zu etablieren, folgte bereits bisher einem solchen Denken . Nun machte er es explizit zum Thema: Die Schau "The Shape of Time" (bis 8.7.) versucht erstmals, den Dialog über Zeitgrenzen durch die direkte Gegenüberstellung von Werken zu verdeutlichen.

Es ist keine Anbiederung an den Zeitgeschmack und kein Versuch, alte Kunst durch scheinbar verständlichere, weil neuere Codes zu erklären: Wenn in einem dunklen Nebensaal ein üppiges Blumenbild von Jan Brueghel d.Ä. neben einem Film von Steve McQueen zu sehen ist, hilft es zu wissen, dass die Blüten im Gemälde einen Lebenszyklus abbilden. Der Film, in dem ein totes Pferd in einer Wiese liegt, während auf der Tonspur Insekten summen und der Projektor im Saal rattert, lässt das gemeinsame Thema dennoch klar werden: Alles Leben vergeht, die Welt dreht sich weiter.

Einige Leihgaben sind von solchem Wert, dass die ursprünglich schon für 2017 geplante Schau verschoben werden musste: Die Kosten für Transport und Versicherung hätten das Budget gesprengt. Mit "La Célestine" (1904) ist ein Hauptwerk aus Picassos blauer Periode aus Paris angereist – das Bildnis der halb blinden alten Frau hängt nun neben Tizians Porträt des Papsts Paul III. Farnese (1546), der den Betrachter mit durchdringendem Blick anstarrt. Neben Bronzinos "Heiliger Familie" (1545/’46) hängt ein Hauptwerk von Lucian Freud: Der Künstler porträtierte 1981 – ’83 seine "unheilige" Patchwork-Familie in London in einer gleichsam akribischen wie lebendigen Art.

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Derlei Bilder lohnen schon den Besuch, doch einige der besten Dialoge gelingen mit vergleichsweise unspektakulären Werken: Zwei Wanduhren von Felix González-Torres etwa fassen neben Tullio Lombardos Relief eines jungen Paares (1505 – ’10) ein zeitloses Motiv hoch poetisch ein: Es geht um die Endlichkeit der Liebe, die Möglichkeit des Verlusts, wenn ein Partner stirbt/eineUhr stehen bleibt. Da bei González-Torres die Idee mehr zählt als das Material, konnten die Uhren billig im Handel gekauft werden, erzählt Sharp.

Wunderbar gelungen ist auch der Saal, in dem Gemälde von Giorgione eine Installation der pakistanischen Künstlerin Nusra Latif Qureshi umkreisen: Auf transparenten Folien arrangierte die Künstlerin persische Miniaturen, Renaissanceporträts und ihr eigenes Passbild so, dass Zeiten und Kulturen einander überblenden. "Did You Come Here to Find History?" heißt das Werk.

Geschichte formt um

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Die Geschichte legt sich über alle Dinge, manche werden von ihr verschüttet, manche transformiert. "The Shape of Time" wirft selbst einen Anker ins Jahr 1989 – damals stellte Franz West Möbelobjekte im KHM auf und ermunterte die Besucher so, die Historie anders zu sehen.

Zwei Bänke stehen nun wieder an derselben Stelle wie einst, vor Caravaggios Rosenkranzmadonna. Aber sie sind nicht mehr dieselben: West ist tot, sein Werk im Kanon angekommen und sehr teuer, daher darf niemand mehr auf den Möbeln sitzen.

Das Arrangement erinnert daran, dass "kunsthistorische Relevanz" in vielen bereichen der Kunstwelt heute primär als wertsteigerndes Attribut wirksam ist. Die Lagerung und Erhaltung derart zertifizierter Gegenstände findet zunehmend in Zollfreilagern statt, "sichtbar" bleibt vieles via Google.

Was also ist ein kunsthistorisches Museum? Häuser wie das KHM tun gut daran, ihre Kriterien nicht einzufrieren und ihre Objekte nicht abzukapseln. Der ständige Dialog ist überlebenswichtig – und "The Shape of Time" ist ein starkes Plädoyer dafür.